Die Pest (German Edition)
und Rambert folgten seinem Beispiel.
Zum Abschied drückte der Mittelläufer Rambert energisch die Hand.
«Ich heiße Gonzalès», sagte er.
Diese zwei Tage kamen Rambert endlos vor. Er ging zu Rieux und erzählte ihm seine Schritte in allen Einzelheiten. Dann begleitete er den Arzt zu einem seiner Krankenbesuche. An der Tür des Hauses, wo diesen ein verdächtiger Kranker erwartete, verabschiedete er sich von ihm. Im Flur ein Geräusch von Laufen und Stimmen: Man benachrichtigte die Familie vom Eintreffen des Arztes.
«Ich hoffe, Tarrou verspätet sich nicht», murmelte Rieux.
Er sah müde aus.
«Breitet sich die Epidemie zu schnell aus?», fragte Rambert.
Rieux sagte, das sei es nicht, die statistische Kurve steige sogar weniger schnell an. Nur seien die Mittel gegen die Pest einfach nicht ausreichend.
«Es fehlt uns an Material», sagte er. «In allen Armeen der Welt wird der Mangel an Material im Allgemeinen durch Menschen ersetzt. Aber uns fehlt es hier auch an Menschen.»
«Es sind doch Ärzte und Sanitätspersonal von außen gekommen.»
«Ja», sagte Rieux. «Zehn Ärzte und etwa hundert Mann. Das ist scheinbar viel. Es ist kaum genug für den gegenwärtigen Stand der Krankheit. Es wird unzureichend sein, wenn die Epidemie um sich greift.»
Rieux horchte auf die Geräusche aus dem Innern des Hauses, dann lächelte er Rambert an.
«Ja, Sie sollten zusehen, dass Sie bald Erfolg haben.»
Ein Schatten legte sich über Ramberts Gesicht.
«Wissen Sie, ich will nicht deswegen weg», sagte er mit dumpfer Stimme.
Rieux antwortete, das wisse er, aber Rambert fuhr fort:
«Ich glaube nicht, dass ich feige bin, zumindest meistens nicht. Ich hatte Gelegenheit, es zu erproben. Aber es gibt einfach Vorstellungen, die ich nicht ertragen kann.»
Der Doktor sah ihn gerade an.
«Sie werden sie wiederfinden», sagte er.
«Vielleicht, aber ich kann die Vorstellung nicht ertragen, dass es lange dauert und dass sie während dieser ganzen Zeit altern wird. Mit dreißig fängt man an zu altern, und man muss alles ausnutzen. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können.»
Rieux murmelte gerade, er glaube zu verstehen, als Tarrou ganz aufgedreht ankam.
«Ich habe Paneloux eben gebeten, sich uns anzuschließen.»
«Und?», fragte der Arzt.
«Er hat nachgedacht und hat ja gesagt.»
«Das freut mich», sagte der Arzt. «Es freut mich zu erfahren, dass er besser ist als seine Predigt.»
«Alle sind so», sagte Tarrou. «Man muss ihnen nur Gelegenheit dazu geben.»
Er lächelte und zwinkerte Rieux zu.
«Das ist meine Sache im Leben, Gelegenheiten zu liefern.»
«Entschuldigen Sie mich», sagte Rieux, «aber ich muss gehen.»
Am verabredeten Donnerstag begab sich Rambert um fünf vor acht zum Säulenvorbau der Kathedrale. Die Luft war noch ziemlich kühl. Am Himmel zogen runde, weiße Wölkchen auf, die gleich, beim Ansteigen der Hitze, auf einen Schlag verschlungen würden. Ein unbestimmter Geruch nach Feuchtigkeit stieg noch aus den Rasenflächen, obwohl sie verdorrt waren. Die Sonne hinter den Häusern im Osten wärmte nur den Helm der ganz vergoldeten Jeanne d’Arc, die den Platz ziert. Eine Uhr schlug acht. Rambert ging ein paar Schritte unter dem leeren Säulenvorbau. Von innen drang undeutliches Psalmodieren zusammen mit dem abgestandenen Duft von Keller und Weihrauch heraus. Plötzlich verstummten die Gesänge. Ein Dutzend kleiner schwarzer Gestalten kam aus der Kirche und trippelte der Stadt zu. Rambert wurde allmählich ungeduldig. Andere schwarze Gestalten stiegen die breiten Treppen herauf und gingen auf den Säulenvorbau zu. Er zündete sich eine Zigarette an, dann fiel ihm ein, dass es an diesem Ort vielleicht nicht erlaubt war.
Um acht Uhr fünfzehn begann gedämpft die Orgel der Kathedrale zu spielen. Rambert betrat das dunkle Gewölbe. Nach einer Weile konnte er im Kirchenschiff die dunklen Gestalten erkennen, die an ihm vorbeigegangen waren. Sie waren alle in einer Ecke vor einer Art improvisiertem Altar versammelt, auf dem man gerade einen in aller Eile in einer Werkstatt unserer Stadt angefertigten heiligen Rochus aufgestellt hatte. Auf den Knien wirkten sie noch zusammengeschrumpfter, verloren im Grau in Grau wie Stücke geronnenen Schattens, da und dort kaum dichter als der Dunst, in dem sie schwebten. Über ihnen spielte die Orgel endlose Variationen.
Als Rambert hinausging, stieg Gonzalès, unterwegs in die Stadt, schon die Treppe hinunter.
«Ich dachte, du wärst gegangen», sagte er
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