Die Pest (German Edition)
angekommen, die durch hohe Gitter abgesperrt waren. Aber sie bewegten sich auf eine kleine Kneipe zu, in der gebratene Sardinen verkauft wurden, deren Geruch bis zu ihnen drang.
«Das ist sowieso nicht meine Sache, sondern die von Raoul», schloss Garcia. «Und den muss ich erst finden. Das ist nicht so einfach.»
«Ach, versteckt er sich?», fragte Cottard lebhaft.
Garcia antwortete nicht. In der Nähe der Kneipe blieb er stehen und wandte sich zum ersten Mal an Rambert.
«Übermorgen um elf an der Ecke der Zollkaserne, oben in der Stadt.»
Er wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal zu den beiden Männern um.
«Es wird Unkosten geben», sagte er.
Das war eine Feststellung.
«Natürlich», stimmte Rambert zu.
Etwas später bedankte sich der Journalist bei Cottard.
«O nein!», sagte der leutselig. «Es freut mich, Ihnen einen Gefallen zu tun. Und außerdem sind Sie Journalist, Sie werden es irgendwann wiedergutmachen.»
Am übernächsten Tag stiegen Rambert und Cottard die schattenlosen breiten Straßen hinauf, die in die Oberstadt führen. Ein Teil der Zollkaserne war in ein Krankenrevier umgewandelt worden, und vor dem großen Tor standen Leute, die in der Hoffnung gekommen waren, einen Besuch zu machen, was ihnen aber nicht erlaubt werden konnte, oder um Auskünfte zu erhalten, die von einer Stunde auf die andere überholt sein würden. Jedenfalls ließ diese Ansammlung viel Kommen und Gehen zu, und man konnte annehmen, dass diese Überlegung nicht ohne Belang für die Verabredung des Treffens von Garcia und Rambert war.
«Eigenartig, diese Beharrlichkeit, weggehen zu wollen», sagte Cottard. «Schließlich ist das, was passiert, doch sehr interessant.»
«Für mich nicht», antwortete Rambert.
«Oh, natürlich, man riskiert etwas. Aber schließlich hat man vor der Pest genauso viel riskiert, wenn man eine stark belebte Kreuzung überquerte.»
Im gleichen Augenblick hielt Rieux’ Auto neben ihnen. Tarrou fuhr, und Rieux schien halb zu schlafen. Er schüttelte den Schlaf ab, um die Herren einander vorzustellen.
«Wir kennen uns», sagte Tarrou, «wir wohnen im selben Hotel.»
Er bot Rambert an, ihn in die Stadt zu fahren.
«Nein, wir haben hier eine Verabredung.»
Rieux sah Rambert an.
«Ja», sagte der.
«Ach!», wunderte sich Cottard. «Der Herr Doktor ist auf dem Laufenden?»
«Da kommt der Untersuchungsrichter», warnte Tarrou und sah Cottard an.
Der wurde blass. Monsieur Othon kam tatsächlich mit energischen, aber gemessenen Schritten die Straße entlang auf sie zu. Er lüftete den Hut, als er an der kleinen Gruppe vorbeikam.
«Guten Tag, Herr Richter!», sagte Tarrou.
Der Richter erwiderte den Gruß der im Auto Sitzenden und nickte Cottard und Rambert, die im Hintergrund geblieben waren, ernst grüßend zu. Tarrou stellte den Rentner und den Journalisten vor. Der Richter sah kurz den Himmel an, seufzte und sagte, es sei eine sehr traurige Zeit.
«Monsieur Tarrou, ich habe gehört, dass Sie sich mit der Anwendung der Vorsorgemaßnahmen befassen. Ich kann Ihnen gar nicht genug zustimmen. Herr Doktor, glauben Sie, dass die Krankheit sich ausbreiten wird?»
Rieux sagte, man müsse hoffen, dass es nicht so komme, und der Richter wiederholte, dass man immer hoffen müsse, die Wege der Vorsehung seien unerforschlich. Tarrou fragte ihn, ob die Ereignisse Mehrarbeit für ihn mit sich gebracht hätten.
«Im Gegenteil, die sogenannten Strafsachen gehen zurück. Ich habe nur noch Untersuchungen wegen grober Verstöße gegen die neuen Anordnungen zu leiten. Noch nie wurden die alten Gesetze so genau beachtet.»
«Weil sie im Vergleich zwangsläufig gut erscheinen», sagte Tarrou.
Der Richter änderte seinen verträumten Ausdruck, den er, den Blick wie an den Himmel geheftet, aufgesetzt hatte. Er maß Tarrou kalt.
«Was macht das schon?», sagte er. «Nicht das Gesetz zählt, sondern die Strafe. Wir können nichts dazu.»
«Der da», sagte Cottard, als der Richter gegangen war, «ist der Feind Nummer eins.»
Das Auto fuhr ab.
Etwas später sahen Rambert und Cottard Garcia kommen. Er ging auf sie zu, ohne ihnen einen Wink zu geben, und sagte statt einer Begrüßung: «Sie müssen warten.»
Um sie herum wartete die Menge, in der die Frauen überwogen, in völligem Schweigen. Fast alle trugen Körbe bei sich, in der vergeblichen Hoffnung, sie könnten sie ihren kranken Angehörigen bringen lassen, und mit der noch törichteren Vorstellung, diese könnten ihren Proviant nutzen.
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