Die Pest (German Edition)
Kommen Sie um halb elf.»
Als Cottard am nächsten Tag bei dem Arzt eintraf, sprach Tarrou mit Rieux über eine unerwartete Heilung, die es in dessen Abteilung gegeben hatte.
«Einer von zehn. Er hat Glück gehabt», sagte Tarrou.
«Ach was!», sagte Cottard. «Es war nicht die Pest.»
Ihm wurde versichert, dass es sich wirklich um diese Krankheit handelte.
«Das ist nicht möglich, er ist ja geheilt. Sie wissen so gut wie ich, dass die Pest kein Erbarmen kennt.»
«Im Allgemeinen nicht», sagte Rieux. «Aber mit ein wenig Hartnäckigkeit erlebt man Überraschungen.»
Cottard lachte.
«Das sieht man aber nicht. Haben Sie heute Abend die Zahlen gehört?»
Tarrou, der den Rentner wohlwollend ansah, sagte, er kenne die Zahlen, die Lage sei ernst, aber was das beweise? Das beweise, dass noch außergewöhnlichere Maßnahmen nötig seien.
«Ha! Sie haben sie schon ergriffen!»
«Ja, aber jeder muss sie für sich selbst ergreifen.»
Cottard sah Tarrou verständnislos an. Der sagte, dass zu viele Menschen untätig blieben, dass die Epidemie jeden angehe und jeder seine Pflicht tun müsse. Die freiwilligen Trupps ständen jedem offen.
«Das ist eine Idee», sagte Cottard, «aber es wird nichts nützen. Die Pest ist zu stark.»
«Wir werden es wissen, wenn wir alles versucht haben», sagte Tarrou geduldig.
Währenddessen schrieb Rieux an seinem Schreibtisch Karteikarten ab. Tarrou sah noch immer den Rentner an, der auf seinem Stuhl herumrutschte.
«Warum machen Sie nicht bei uns mit, Monsieur Cottard?»
Der stand mit beleidigtem Gesicht auf, nahm seinen runden Hut in die Hand:
«Das ist nicht mein Beruf.»
Dann in herausforderndem Ton:
«Außerdem geht es mir gut in der Pest, und ich sehe nicht ein, warum ich mich einmischen sollte, damit sie aufhört.»
Tarrou schlug sich wie von einer plötzlichen Erkenntnis erleuchtet an die Stirn.
«Ach, stimmt ja, ich vergaß, dass Sie ohne die Pest verhaftet würden.»
Cottard zuckte zusammen und griff nach dem Stuhl, als würde er gleich fallen. Rieux hatte aufgehört zu schreiben und sah ihn ernst und interessiert an.
«Wer hat Ihnen das gesagt?», schrie der Rentner.
Tarrou schien überrascht und sagte:
«Na, Sie. Oder wenigstens haben der Doktor und ich das zu verstehen geglaubt.»
Und als Cottard, plötzlich von einer unbeherrschbaren Wut übermannt, unverständliche Worte stammelte, fügte Tarrou hinzu:
«Regen Sie sich nicht auf. Weder der Doktor noch ich werden Sie anzeigen. Ihre Geschichte geht uns nichts an. Und außerdem, die Polizei, die haben wir noch nie gemocht. Kommen Sie, setzen Sie sich.»
Der Rentner schaute seinen Stuhl an und setzte sich nach kurzem Zögern. Nach einer Weile seufzte er.
«Das ist eine alte Geschichte, die sie wieder hervorgeholt haben», bekannte er. «Ich dachte, das sei vergessen. Aber einer von ihnen hat geredet. Sie haben mich vorgeladen und gesagt, ich müsse mich bis zum Ende der Ermittlungen zu ihrer Verfügung halten. Mir ist klar geworden, dass sie mich am Ende verhaften würden.»
«Ist es schlimm?», fragte Tarrou.
«Das hängt davon ab, was Sie meinen. Es ist jedenfalls kein Mord.»
«Gefängnis oder Zuchthaus?»
Cottard wirkte sehr niedergeschlagen.
«Gefängnis, wenn ich Glück habe …»
Aber nach einer Weile fuhr er heftig fort:
«Es ist ein Irrtum. Alle Welt begeht Irrtümer. Und ich kann den Gedanken nicht ertragen, deswegen abgeführt zu werden, von meinem Haus, meinen Gewohnheiten, von allen, die ich kenne, getrennt zu werden.»
«Aha, deshalb kamen Sie auf die Idee, sich aufzuhängen?», fragte Tarrou.
«Ja, eine Dummheit natürlich.»
Rieux sprach zum ersten Mal und sagte zu Cottard, er verstehe seine Besorgnis, aber vielleicht werde sich alles einrenken.
«Oh, ich weiß, dass ich vorläufig nichts zu befürchten habe.»
«Ich sehe», sagte Tarrou, «dass Sie nicht in unsere Trupps eintreten werden.»
Der andere, der seinen Hut in den Händen drehte, blickte unsicher zu Tarrou auf:
«Nehmen Sie es mir bitte nicht übel.»
«Natürlich nicht. Aber versuchen Sie zumindest, nicht freiwillig die Mikroben zu verteilen.»
Cottard protestierte, dass er die Pest nicht gewollt habe, dass sie einfach so gekommen sei und es nicht seine Schuld sei, wenn sie vorläufig seine Angelegenheiten in Ordnung bringe. Und als Rambert in der Tür erschien, fügte der Rentner mit viel Nachdruck in der Stimme hinzu:
«Übrigens bin ich der Ansicht, dass Sie nichts erreichen werden.»
Rambert erfuhr, dass
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