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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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seinem Glas ein. Es war schwierig, bei diesem Tumult zu reden, aber Rambert schien vor allem mit Trinken beschäftigt. Der Arzt konnte noch nicht beurteilen, ob er betrunken war. An einem der zwei Tische, die den übrigen Platz des engen Lokals einnahmen, in dem sie waren, erzählte ein Marineoffizier mit einer Frau an jedem Arm einem rotgesichtigen dicken Gesprächspartner von einer Typhusepidemie in Kairo: «Lager», sagte er, «man hat Lager für die Eingeborenen eingerichtet, mit Zelten für die Kranken und ringsum einer Kette von Posten, die auf die Familie schossen, wenn sie versuchte, Hausmittel hineinzuschmuggeln. Das war hart, aber gerecht.» An dem anderen Tisch saßen elegante junge Männer, deren Gespräch nicht zu verstehen war und in den Takten von Saint James Infirmary unterging, die von einem Plattenspieler hoch oben herabdröhnten.
    «Sind Sie froh?», sagte Rieux mit erhobener Stimme.
    «Es rückt näher», sagte Rambert. «Vielleicht im Lauf der Woche.»
    «Schade», schrie Tarrou.
    «Wieso?»
    Tarrou sah Rieux an.
    «Ach, Tarrou sagt das, weil er meint, Sie hätten uns hier nützlich sein können. Aber ich verstehe Ihren Wunsch zu gehen allzu gut», sagte der Arzt.
    Tarrou gab noch eine Runde aus. Rambert stieg von seinem Barhocker und sah ihm zum ersten Mal ins Gesicht.
    «Wobei könnte ich Ihnen denn nützlich sein?»
    «Na ja», sagte Tarrou und streckte ohne Eile die Hand nach seinem Glas aus, «bei unseren Sanitätstrupps.»
    Rambert setzte wieder seine übliche Miene eigensinniger Nachdenklichkeit auf und stieg wieder auf seinen Hocker.
    «Finden Sie diese Trupps nicht nützlich?», sagte Tarrou, nachdem er getrunken hatte, und sah Rambert aufmerksam an.
    «Sehr nützlich», sagte der Journalist und trank.
    Rieux bemerkte, dass dessen Hand zitterte. Er dachte, dass Rambert, verdammt nochmal, ja, völlig betrunken sei.
    Als Rambert am nächsten Tag zum zweiten Mal das spanische Restaurant betrat, ging er durch eine kleine Gruppe von Männern, die Stühle vor den Eingang getragen hatten und einen grüngoldenen Abend genossen, in dem die Hitze gerade erst nachzulassen begann. Sie rauchten einen scharf riechenden Tabak. Innen war das Restaurant fast leer. Rambert setzte sich an den Tisch hinten, wo er Gonzalès beim ersten Mal getroffen hatte. Er sagte der Bedienung, er würde warten. Es war neunzehn Uhr dreißig. Nach und nach kamen die Männer in den Essraum und nahmen Platz. Sie wurden allmählich bedient, und das niedrige Gewölbe füllte sich mit dem Geklapper von Bestecken und gedämpften Unterhaltungen. Um zwanzig Uhr wartete Rambert immer noch. Es wurde Licht gemacht. Neue Gäste setzten sich an seinen Tisch. Er bestellte sein Essen. Um zwanzig Uhr dreißig war er fertig, ohne Gonzalès oder die beiden jungen Männer gesehen zu haben. Er rauchte Zigaretten. Das Lokal leerte sich langsam. Draußen brach sehr schnell die Nacht herein. Ein leichter lauer Wind, der vom Meer kam, hob sanft die Gardinen vor den Fenstertüren. Als es einundzwanzig Uhr war, merkte Rambert, dass der Saal leer war und die Bedienung ihn verwundert ansah. Er bezahlte und ging. Dem Restaurant gegenüber war ein Café geöffnet. Rambert setzte sich an die Theke und überwachte den Eingang des Restaurants. Um einundzwanzig Uhr dreißig machte er sich auf den Weg in sein Hotel, überlegte vergeblich, wie er Gonzalès erreichen könnte, dessen Adresse er nicht hatte, und sein Herz sank bei dem Gedanken an all die Schritte, die er noch einmal würde unternehmen müssen.
    In diesem Augenblick in der von flüchtigen Krankenwagen durchrasten Nacht merkte er, wie er Doktor Rieux sagen sollte, dass er während der ganzen Zeit seine Frau irgendwie vergessen hatte, um sich ganz auf die Suche nach einer Öffnung in den Mauern, die ihn von ihr trennten, zu konzentrieren. Aber in ebendiesem Augenblick, als wieder einmal alle Wege versperrt waren, fand er sie auch im Zentrum seines Verlangens und mit einem so plötzlichen Schmerzausbruch wieder, dass er anfing, in sein Hotel zu rennen, um dem qualvollen Brennen zu entrinnen, das er jedoch mit sich trug und das sich ihm in die Schläfen bohrte.
    Dennoch suchte er am nächsten Morgen sehr früh Rieux auf, um ihn zu fragen, wie er Cottard finden könne:
    «Mir bleibt nichts anderes übrig, als die ganze Reihe noch einmal zurückzuverfolgen.»
    «Kommen Sie morgen Abend», sagte Rieux, «Tarrou hat mich gebeten, Cottard einzuladen, warum, weiß ich nicht. Er soll morgen um zehn kommen.

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