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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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gegangen, wie man sagt. Ich wollte kein Pestkranker sein, das war alles. Ich habe geglaubt, dass die Gesellschaft, in der ich lebte, auf das Todesurteil gegründet sei und ich, wenn ich sie bekämpfte, gegen das Morden kämpfte. Ich habe es geglaubt, andere haben es mir gesagt, und schließlich stimmte es ja weitgehend. Ich habe mich also mit den anderen zusammengetan, die ich mochte und die ich noch immer mag. Ich bin lange bei ihnen geblieben, und es gibt kein Land in Europa, an dessen Kämpfen ich nicht teilgenommen hätte. Nun gut.
    Natürlich wusste ich, dass auch wir gelegentlich Todesurteile fällten. Aber man sagte mir, diese paar Toten seien notwendig, um eine Welt herbeizuführen, in der niemand mehr getötet würde. Das stimmte in gewisser Weise, und vielleicht bin nur ich nicht fähig, solche Wahrheiten auszuhalten. Sicher ist, dass ich zögerte. Aber ich dachte an die Eule, und es konnte weitergehen. Bis zu dem Tag, an dem ich eine Hinrichtung sah (es war in Ungarn) und die gleiche Aufgewühltheit, die mich als Kind ergriffen hatte, meine Erwachsenenaugen trübte.
    Haben Sie je gesehen, wie ein Mensch erschossen wird? Nein, natürlich nicht, das geschieht im Allgemeinen auf Einladung, und das Publikum wird vorher ausgesucht. Das Ergebnis ist, dass Sie nicht über Graphiken und Bücher hinausgelangt sind. Eine Augenbinde, ein Pfosten und weiter hinten ein paar Soldaten. O nein! Wissen Sie, dass das Erschießungskommando sich eineinhalb Meter vor dem Verurteilten aufstellt? Wissen Sie, dass der Verurteilte, wenn er zwei Schritte vorträte, mit der Brust an die Gewehre stoßen würde? Wissen Sie, dass die Schützen auf diese kurze Entfernung alle auf die Herzgegend zielen und dort mit ihren großen Kugeln ein Loch reißen, in das man die Faust stecken könnte? Nein, das wissen Sie nicht, weil das Einzelheiten sind, über die man nicht spricht. Für die Verpesteten ist der Schlaf der Menschen heiliger als das Leben. Man darf die biederen Leute nicht am Schlaf hindern. Das wäre geschmacklos, und Geschmack besteht darin, nicht nachzufragen, das weiß man ja. Aber ich habe seitdem nicht mehr gut geschlafen. Der schlechte Geschmack ist in meinem Mund geblieben, und ich habe nicht aufgehört nachzufragen, das heißt, daran zu denken.
    Damals ist mir wenigstens klar geworden, dass ich in all diesen langen Jahren nicht aufgehört hatte, ein Verpesteter zu sein, obwohl ich doch gerade glaubte, mit allen Kräften gegen die Pest zu kämpfen. Ich habe erkannt, dass ich indirekt das Todesurteil von Tausenden von Menschen unterschrieben hatte, dass ich diesen Tod sogar verursacht hatte, indem ich die Taten und Prinzipien guthieß, die ihn unausweichlich nach sich gezogen hatten. Die anderen schien das nicht zu stören, oder zumindest sprachen sie von sich aus nie darüber. Mir schnürte es die Kehle zu. Ich war mit ihnen zusammen und doch allein. Wenn es vorkam, dass ich meine Bedenken zum Ausdruck brachte, sagten sie, man müsse sich überlegen, was auf dem Spiel stehe, und sie nannten mir oft eindrucksvolle Gründe, damit ich schluckte, was ich nicht herunterwürgen konnte. Aber ich antwortete, dass die großen Verpesteten, jene, die rote Roben anlegen, in diesen Fällen auch ausgezeichnete Gründe haben, und wenn ich die von den kleinen Verpesteten angeführten Notwendigkeiten und Gründe von höherer Gewalt billigen würde, könnte ich die der großen nicht ablehnen. Sie wiesen mich darauf hin, dass die roten Roben gerade dadurch bestätigt würden, wenn man ausschließlich ihnen die Verurteilungen überließe. Aber damals dachte ich, dass, wenn man einmal nachgab, es keinen Grund gebe, es dabei zu belassen. Mir scheint, dass die Geschichte mir recht gegeben hat, heute geht es darum, wer am meisten tötet. Alle sind im Mordrausch und können nicht anders.
    Jedenfalls war das Diskutieren nicht meine Sache. Da war die rote Eule, dieses widerliche Abenteuer, bei dem widerliche, verpestete Münder einem Mann in Ketten verkündeten, dass er gleich sterben werde, und alles vorbereiteten, damit er tatsächlich starb, nach Nächten und Nächten der Todesangst, in denen er offenen Auges darauf wartete, ermordet zu werden. Meine Sache war das Loch in der Brust. Und ich sagte mir, dass ich mich vorläufig wenigstens für mein Teil weigern würde, dieser ekelhaften Schlachterei je eine einzige, eine einzige, hören Sie, Rechtfertigung zu geben. Ja, ich habe diese eigensinnige Blindheit gewählt, bis ich klarer sehe.
    Seither

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