Die Pest zu London
ihren Gemeinden keine Unterstützung beziehen, sondern die einzige Hilfe, die es für sie gab, konnten sie bei den Fürsorgeämtern beantragen, die ihre Hilfeleistungen, das muß man den Beamten zugutehalten, mit Sorgfalt und 124
freundlicher Bereitwilligkeit austeilten, so wie sie es für angemessen hielten; und so haben die, die in der Stadt blieben, eigentlich niemals den Mangel und die Not in dem Maße gespürt, wie die, die in der oben erwähnten Art hinausgezogen waren.
Soll doch jeder, dem es bekannt ist, wie groß die Zahl derer ist, die in unserer Stadt ihr tägliches Brot durch ihrer Hände Arbeit verdienen, seien sie nun geschulte Handwerker oder nur Arbeiter – ich sage, soll jeder einmal überlegen, in welch einen Zustand des Elends unsere Stadt geraten müßte, wenn sie plötzlich alle aus ihren Stellungen entlassen würden, die Arbeit aufhörte und Löhne nicht mehr gezahlt würden.
So geschah es bei uns zu der Zeit; und wären die Beträge an Geld, das von wohlmeinenden Menschen jeder Art, daheim wie auswärts, in Wohltätigkeit gespendet wurde, nicht außergewöhnlich groß gewesen, es hätte nicht mehr in der Macht des Lordbürgermeisters und der Sheriffs gelegen, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Auch war man, so wie die Dinge lagen, durchaus nicht ohne Besorgnis, daß die Verzweiflung die Leute zu den Tumulten treiben und sie so weit bringen könnte, daß sie die Häuser der Reichen plünderten und die Lebensmittelmärkte stürmten; in diesem Fall wären auch die Landleute, die ganz unbehindert und ohne Furcht Nahrungsmittel in die Stadt brachten, abgeschreckt worden, noch weiter zu kommen, und die Stadt wäre einer unvermeidlichen Hungers-not verfallen.
Aber der Klugheit des Lordbürgermeisters und des Stadtrats (innerhalb der Stadt; in den Vororten der Friedensrichter) war es zu danken, und der so reichlichen Unterstützung mit Geld von überall her, daß die Armen in Frieden gehalten wurden und ihre Nöte überall Abhilfe fanden, soweit es nur möglich war.
Zwei Dinge trugen außerdem dazu bei, Pöbelausschreitungen zu verhindern. Eines war, daß tatsächlich die Reichen selber keine Lebensmittelvorräte in ihren Häusern angelegt hatten, 125
wie sie freilich hätten tun sollen (wären sie klug genug gewesen, dies zu tun und hätten sie sich vollständig abgesperrt, wie es einige wenige taten, sie wären der Krankheit besser entgan-gen). Aber da es sich zeigte, daß es nicht der Fall war, hatte der Pöbel nicht den Anreiz, dort Lebensmittelvorräte zu finden, wenn sie einbrächen, was sie manchmal, das ist klar, sehr nahe daran waren zu tun; und hätten sie es getan, sie hätten den Untergang der ganzen Stadt besiegelt, denn es gab keine regulären Truppen, die ihnen Widerstand hätten leisten können, noch konnte die Bürgerwehr aufgebracht werden, die Stadt zu verteidigen, da niemand sich bereit fand, Waffen aufzunehmen.
Aber die Wachsamkeit des Lordbürgermeisters und der Obrigkeit, die noch vorhanden war (denn einige von ihnen, sogar Stadträte waren gestorben oder abwesend), wußte dies zu verhindern; und sie taten es auf die freundlichste und sanfteste Art, die man sich nur denken kann, so indem sie den Bedürftig-sten mit Geld halfen, anderen Arbeit verschafften, und zwar besonders die Arbeit, die befallenen und gesperrten Häuser zu bewachen. Und da deren Zahl sehr groß war – es hieß, daß zu einer Zeit zehntausend Häuser gesperrt waren – und da jedes Haus zwei Wachmänner zur Bewachung hatte, nämlich einen für den Tag und einen für die Nacht, so ergab das sogleich Beschäftigungsmöglichkeit für sehr viele der brotlosen Männer.
Ähnlich stellte man die Frauen und Dienstmägde, die aus ihren Stellungen entlassen worden waren, als Wärterinnen an, um überall die Kranken zu pflegen, und dies verminderte ihre Zahl beträchtlich.
Und was, obwohl an sich ein trauriges Kapitel, sich doch auf seine Art als eine Erlösung darstellte, das war die Pest selbst, die von Mitte August bis Mitte Oktober auf das erschreckendste wütete und in dem Zeitraum dreißig- bis vierzigtausend gerade von den Menschen dahinraffte, die, wenn sie am Leben geblieben wären, durch ihre Armut eine unerträgliche Last gewesen wären; das heißt, die ganze Stadt hätte die Kosten 126
ihres Unterhalts nicht bestreiten oder sie mit Nahrung versehen können; und sie wären im Laufe der Zeit, um sich am Leben zu halten, unausweichlich dazu getrieben worden, entweder die Stadt selbst oder die
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