Die Pest zu London
Gesundheitsinspektoren, wie unsere amtliche Bezeichnung lautete; die Leute nannten uns Visitatoren. Ich bemühte mich mit allen Kräften, von einer solchen Ernennung freizukommen, und brachte bei des Stadtrats Stellvertreter viele Gründe vor, um mich auszureden; insbesondere führte ich an, daß ich ganz gegen das Absperren der Häuser eingestellt sei und daß es eine große Härte sein würde, mich in den Dienst einer Sache zu zwingen, die meiner Anschauung zuwiderlaufe und von der ich ernstlich glaubte, daß sie dem Zweck, für den sie gedacht war, nicht entspreche; aber das einzige Zugeständnis, das ich erreichen konnte, war, daß, 203
während man gewöhnlich vom Lordbürgermeister für die Dauer von zwei Monaten auf diesen Posten berufen wurde, ich nur auf drei Wochen verpflichtet sein sollte, ihn auszufüllen, unter der Bedingung jedoch, daß ich dann einen geeigneten Stellvertreter fände, der die übrige Zeit für mich ableistete, und das war, kurz gesagt, ein sehr geringes Entgegenkommen, da es sehr schwer war, irgend jemand dazu zu bringen, ein solches Amt anzunehmen, der auch fähig war, damit betraut zu werden.
Das Absperren der Häuser hatte allerdings eine Wirkung, die, dessen bin ich mir bewußt, von Bedeutung war, nämlich daß auf diese Weise die befallenen Leute festgehalten wurden, die sonst große Unruhe und Gefahr gebracht hätten, indem sie mit der Krankheit im Leibe in den Straßen umhergelaufen wären, und das hätte sich, wenn sie erst im Delirium waren, auf das furchtbarste ausgewirkt, wie sich zu Anfang schon sehr deutlich zeigte, bevor sie noch so festgehalten wurden; ja, so rückhaltlos waren sie damals, daß sie, wenn sie arm waren, herumgingen und an den Haustüren bettelten und erklärten, sie hätten die Pest, und um Lappen baten, um sich zu verbinden, oder was ihnen sonst im Zustand des Deliriums einfiel.
Eine unglückselige vornehme Dame, die Frau eines begüterten Bürgers, wurde (wenn die Geschichte wahr ist) von einem dieser Menschen auf der Aldersgate Straße ermordet, oder dort herum. Er ging, zweifellos völlig von Sinnen, die Straße entlang und sang; die Leute meinten, er sei nur betrunken, aber er selber sagte, er habe die Pest, was, so scheint es, zutraf; und als er dieser Dame begegnete, wollte er sie küssen. Sie war furchtbar erschrocken, da er ein sehr ungehobelter Geselle war, und sie lief vor ihm davon, aber die Straße war sehr menschen-leer und niemand nahe genug, um ihr zu helfen. Als sie bemerkte, daß er sie einholen werde, wandte sie sich um und versetzte ihm mit solcher Gewalt einen Stoß, daß er, schwach wie er war, rücklings zu Boden stürzte. Aber unglücklicherweise war sie ihm so nahe, daß er sie ergreifen konnte und sie 204
hinunterzog, und er kam vor ihr wieder hoch, überwältigte sie und küßte sie; und, was das Schlimmste war, nachdem er es getan hatte, sagte er ihr, er habe die Pest und warum solle nicht auch sie sie haben, so wie er sie habe? Sie war vorher schon erschrocken genug gewesen, zumal sie gerade schwanger war; aber als sie ihn sagen hörte, er habe die Pest, schrie sie laut auf und verfiel in eine Ohnmacht oder vielmehr in einen Herzan-fall, an dem sie, obwohl sie sich ein wenig erholte, in nur wenigen Tagen starb, und ich habe nie gehört, ob sie die Pest hatte oder nicht.
Ein anderer befallener Mann kam und klopfte an der Haustür eines Mitbürgers, wo man ihn sehr gut kannte; der Diener ließ ihn ein, und er, als er hörte, der Hausherr sei oben, rannte hinauf und trat in den Raum, wo die ganze Familie gerade beim Abendessen war. Sie standen zuerst auf, ein wenig überrascht, da sie nicht wußten, was los war, aber er hieß sie ruhig sitzen bleiben, er sei nur gekommen um von ihnen Abschied zu nehmen. Sie fragten ihn: »Aber Mr. –, wo wollen Sie hin?«
»Wollen?« sagte er, »ich habe die Krankheit und werde morgen abend sterben.« Man kann sich vorstellen, wenn auch nicht beschreiben, in welcher Bestürzung sie alle waren. Die Frauen und Töchter des Hauses, noch ganz junge Mädchen, waren beinahe zu Tode erschrocken und sprangen auf, die eine zu dieser Tür hinausrennend, die andere zu jener, die einen trepp-auf, die anderen treppab, und als sie sich wieder einigermaßen zusammengefunden hatten, schlossen sie sich in ihre Zimmer ein und schrien zum Fenster hinaus um Hilfe, als hätten sie vor Schreck den Verstand verloren. Der Hausherr, ein wenig gefaßter als sie, obgleich auch sowohl entsetzt wie gereizt, wollte
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