Die Pest zu London
den Sturmtagen der Pest umgekommen ist, nachdem sie in der Hoffnung, große Vermögen zu machen, in der Stadt zu bleiben sich unterfangen hatten; und in der Tat war ihr Gewinn für eine Zeit nur allzu groß, durch die Verrücktheit und die Dummheit der Leute. Aber jetzt waren sie stumm; viele von ihnen waren zur immerwährenden Ruhe gegangen, ihr eigenes Schicksal hatten sie eben nicht vorherzusagen vermocht, sich selbst hatten sie das Horoskop nicht stellen können. Man ist boshaft genug gewesen zu sagen, daß alle von ihnen starben. Das zu behaupten möchte ich mir nicht erlauben; aber soviel muß ich zugeben: ich habe niemals gehört, daß auch nur einer von ihnen, nachdem die Katastrophe vorbei war, wieder aufgetreten ist.
Aber um zu den Beobachtungen zurückzukehren, die ich während dieses furchtbaren Teils der Heimsuchung für mich selber machte. Ich bin jetzt, wie gesagt, bis zum Monat September gekommen, welcher wohl der fürchterlichste September gewesen ist, den London je erlebte; denn nach allen Chroniken, welche ich von vorhergehenden Heimsuchungen, die in London waren, gesehen habe, läßt sich nichts damit vergleichen, da doch die Zahl auf dem wöchentlichen Sterberegister für die Zeit vom 22. August bis zum 26. September beinahe 40 000
betrug, und das waren nur fünf Wochen. Im einzelnen lauteten die Registereintragungen wie folgt:
Vom 22. August bis 29. August
7496
Vom 29. August bis 5. September
8252
Vom5. September bis 12. September
7690
Vom 12. September bis 19. September
8297
Vom 19. September bis 26. September
6460
38195
228
Dies war an sich schon eine erstaunliche Zahl, aber wenn ich nun die Gründe hinzufüge, die mich glauben lassen, daß diese Zählung mangelhaft war, und zwar um ein Beträchtliches, dann würde der Leser, wie ich selbst, keine Bedenken haben anzunehmen, daß in all diesen Wochen mehr als zehntausend in der Woche starben, und das Woche für Woche, und vorher und nachher mehrere Wochen lang eine entsprechende Anzahl. Die Verwirrung unter den Leuten, besonders innerhalb der City, war zu der Zeit unaussprechlich. So groß war das Schrecknis, daß zuletzt die Männer, die zum Fortschaffen der Leichen bestimmt waren, ihre Kraft verließ; ja einige von ihnen starben, obwohl sie die Pest gehabt und überstanden hatten, und manch einer von ihnen fiel um, als er gerade einen Toten trug, mag sein, neben dem Grab, in das er ihn eben hinabwerfen wollte; und diese Verwirrung war größer in der City, weil sie sich da mit der Hoffnung geschmeichelt hatten, sie seien schon entkommen und die Bitternis des Todes sei vorbei. Ein Totenkarren, so erzählte man uns, der nach Shoreditch herauffuhr, wurde von den Fuhrleuten im Stich gelassen, oder der eine, der noch übrig war, starb auf dem Weg, und die Pferde zogen weiter, warfen den Karren um, und die Leichen blieben liegen, hierhin und dorthin in gräßlicher Art verstreut. Ein anderer Totenwagen wurde, scheint es, in dem großen Massengrab in Finsbury Fields gefunden; der Fuhrmann war tot oder hatte sich davongemacht, und die Pferde waren zu nahe herangelau-fen, so daß der Wagen hineinfiel und auch die Pferde mit hinunterzog. Es wurde die Meinung vertreten, der Fahrer sei auch mit hineingestürzt und der Wagen sei über ihn gefallen, weil man nämlich seine Peitsche unter den Leichen sehen konnte; aber das war wohl, nehme ich an, nur so eine Mutma-
ßung.
In unserer Aldgate Pfarre hat man mehrere Male, so habe ich gehört, die Totenkarren voll mit Leichen beladen am Fried-hofstor stehen sehen, aber weder Glöckner noch Kutscher noch 229
sonst jemand war dabei; in so einem Fall, wie auch in vielen anderen, wußte niemand, wieviele Tote man in dem Karren hatte; sie wurden ja auch bisweilen mit Stricken von Balkonen und von Fenstern hinabgelassen; und manchmal waren es die Totenträger, manchmal andere Leute, die sie zu dem Karren schafften; und, wie die Männer selber zugaben, niemand kümmerte sich darum, die genaue Zahl festzustellen.
Die Wachsamkeit der Behörden wurde jetzt auf die härteste Probe gestellt, und das, so muß man offen sagen, kann auch bei dieser Gelegenheit gar nicht genug Anerkennung finden; welche Anstrengung sie auch immer dafür aufwenden mußten, zwei Dinge wurden niemals vernachlässigt, weder in der City noch in den Vororten:
1. Lebensmittel waren immer in ausreichender Menge zu haben, und auch ihr Preis war kaum nennenswert erhöht.
2. Keine Leichen blieben unbeerdigt oder unbedeckt liegen;
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