Die Pest Zu London
auf, bis sie, wie mir der gute John erzählte, ihn fast lebendig in dem Wagen begraben hatten; aber er ließ sich keinen Augenblick im Schlaf stören. Schließlich kamen sie zu dem Platz, wo die Toten in die Erde geworfen werden sollten, und das war, soweit ich mich entsinne, am Mount Mill; nun stand der Wagen gewöhnlich eine Weile still, bevor sie soweit waren, die traurige Ladung, die er fuhr, auszukippen; und sobald er anhielt, wachte der Mann auf und strampelte ein wenig, um seinen Kopf unter den Leichen hervorzubringen und rief dann, sich im Wagen aufrichtend: »He, wo bin ich?« Das entsetzte den Mann, der beim Wagen mit zur Hand ging, aber nach einer Pause faßte sich John Hayward und sagte: »Gott steh uns bei! Da ist jemand auf dem Wagen noch nicht tot!« und der andere rief und fragte: »Wer seid Ihr?« Der Mensch antwortete: »Ich bin der arme Flötenspieler. Wo bin ich hier?« »Wo Ihr seid?« sagte Hayward. »Nun, Ihr seid auf dem Totenkarren, und wir sind dabei, Euch zu begraben.« »Aber ich bin doch nicht tot, oder?« sagte der Flötenspieler, was sie ein wenig zum Lachen brachte, obwohl ihnen, so sagte John, zuerst der Schreck tüchtig in die Glieder gefahren war; so halfen sie ihm herunter, und dar arme Kerl ging seines Weges.
Ich weiß, daß es in der Geschichte heißt, er habe in dem Karren seine Pfeifen hervorgeholt und zu flöten angefangen und die Totengräber seien vor Angst davongelaufen; aber so erzählte John Hayward die Geschichte nicht, und daß er geflötet habe, davon sagte er nichts; sondern nur, daß er ein armer Flötenspieler war und daß er auf obige Art weggefahren worden sei, und ich bin fest überzeugt, daß dies die Wahrheit ist.
Es sei hier angemerkt, daß die Totenkarren in der City sich nicht an bestimmte Pfarrsprengel zu halten hatten, sondern ein Wagen fuhr durch mehrere Bezirke, je nach der Zahl der gemeldeten Toten; auch waren sie nicht verpflichtet, jeden Toten auf seinen Gemeindefriedhof zu bringen, sondern viele der Toten, die man in der City auflud, wurden aus Mangel an Platz auf einen Bestattungsgrund am Rande der Stadt geschafft.
Ich habe schon davon gesprochen, wie überraschend die Heimsuchung zuerst für die Leute kam. Man muß mir gestatten, einige meiner Beobachtungen nach der sittlichen und religiösen Seite hin hier anzuführen. Sicherlich ist niemals eine Stadt, jedenfalls keine von dieser Größe und Ausdehnung, so völlig unvorbereitet auf eine so furchtbare Heimsuchung betroffen worden, ob ich von den behördlichen Vorbereitungen sprechen soll oder von den religiösen. Es war in der Tat, als hätten sie keine Warnzeichen, keine Vorahnungen, keine Zukunftsbesorgnis gehabt, und infolgedessen waren die Vorkehrungen, die von seilen der Öffentlichkeit getroffen worden waren, unvorstellbar mangelhaft. Zum Beispiel hatten der Lordbürgermeister und die Sheriffs, als die Hüter der Ordnung, keinen Plan gefaßt, welche Verhaltensregeln zur allgemeinen Befolgung zu erlassen seien. Man hatte sich keinerlei Gedanken über Maßnahmen zur Armenfürsorge gemacht. Es gab im Besitz der öffentlichen Hand keine Magazine oder Lagerhäuser für Korn oder Mehl zur Versorgung der Armen; hätte man solche, wie das anderswo in Fällen dieser Art geschieht, angelegt, hätte man vielen notleidenden Familien, die jetzt ins ärgste Elend gerieten, helfen können, und zwar auf viel bessere Art, als es jetzt möglich war.
Über den Geldvorrat der Stadt kann ich nur wenig sagen. Die Londoner Stadtkammer galt als außerordentlich reich, und daß das nicht falsch war, konnte man aus den ungeheuren Summen schließen, die von ihr zum Wiederaufbau öffentlicher Gebäude nach dem Brand Londons verausgabt wurden; so wurden wiederaufgebaut: die Gildenhalle, Blackwell Hall, ein Teil von Leaden Hall, die Börse zur Hälfte, Session House, das Compter, die Gefängnisse in Ludgate, Newgate etc., mehrere der Kaianlagen und Ufertreppen und Landeplätze am Fluß; sie alle waren bei dem großen Feuer in London, im Jahre nach der Pest, entweder abgebrannt oder beschädigt worden; und es wurden auch neue Bauten errichtet, wie das Monument, Fleet Ditch mit seinen Brücken und das Hospital von Bethlem oder Bedlam etc. Aber möglicherweise hatten die Verwalter der Stadtfinanzen damals mehr Gewissensbedenken, das Geld der Witwen und Waisen anzubrechen, um damit den in Not geratenen Mitbürgern Mildtätigkeit zu erweisen, als in den darauffolgenden Jahren, um die Stadt zu verschönern und Gebäude zu
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