Die Pest Zu London
der Hauptsache nur aus den Erzählungen anderer, denn ich ging selten auf die Felder hinaus, außer nach Bethnal Green und Hackney hin und wie ich es später noch schildern werde. Doch wenn ich einen Spaziergang machte, sah ich immer von weitem eine ganze Anzahl armer Wanderer; aber von ihrem Schicksal konnte ich wenig erfahren, denn ob es auf der Straße war oder auf freiem Feld – wenn man jemanden kommen sah, so war es die allgemeine Regel, auszuweichen; dennoch glaube ich, daß diese Berichte vollkommen wahr sind.
Nachdem dies mich dazu geführt hat, von meinen Gängen durch Straße und Feld zu sprechen, kann ich nicht zu vermerken auslassen, was für ein trostloser Ort die Stadt zu der Zeit war. An der großen Straße, wo ich wohnte, die als eine der breitesten aller Straßen Londons, jedenfalls in den äußeren Bezirken, bekannt ist, war die ganze eine Seite, wo die Metzger wohnten, mehr gleich einer grünen Wiese denn einer gepflasterten Straße, und die Leute gingen gewöhnlich mit Pferd und Wagen in der Mitte. Zwar war das letzte Ende der Straße, kurz vor der Whitechapel Kirche, nicht ganz gepflastert, aber auch wo sie gepflastert war, wuchs auf ihr das Gras; und das braucht noch nicht einmal wunderzunehmen, wo doch auf den großen Straßen mitten in der City, wie auf der Leadenhall Straße, der Bishopsgate Straße, Cornhill, ja sogar vor der Börse an verschiedenen Stellen das Gras wuchs; vom Morgen bis zum Abend waren weder Wagen noch Kutschen auf den Straßen zu sehen, außer ein paar Bauernwagen, die Wurzeln und Bohnen oder Erbsen, Heu und Stroh zum Markt fuhren, und von ihnen nur sehr wenige, verglichen mit früher. Was Kutschen angeht, so wurden sie kaum benutzt, außer um die Kranken ins Pesthaus und zu anderen Hospitälern zu fahren, oder ab und zu einen Arzt irgendwohin zu bringen, wo er es für angemessen hielt, sich auf einen Krankenbesuch zu wagen; denn eine Kutsche war in der Tat ein gefährliches Ding, und die Leute hatten keine Lust, sich in sie hineinzutrauen, weil sie nie wußten, wer in ihr zuletzt gefahren worden war; wurden doch, wie ich eben sagte, die Seuchekranken in Kutschen ins Pesthaus gebracht, und manchmal starben in ihnen die Leute unterwegs.
Es ist wahr, daß es, als die Pest einen solchen Höhepunkt erreichte, wie ich eben erwähnt habe, sehr wenige Ärzte gab, die sich zu den Kranken hinausrühren mochten, und sehr viele der hervorragendsten ihrer Fakultät waren gestorben, ebenso von den Wundärzten; denn jetzt war wahrhaftig eine schaurige Zeit, und ungefähr einen Monat lang starben, glaube ich, wenn man einmal die Totenregister außer acht läßt, nicht weniger als 1500 oder 1700 am Tag, einen Tag wie den andern. Einer der schlimmsten Tage, die wir in der ganzen Zeit hatten, war, nach meinem Dafürhalten, ein Tag Anfang September, als auch gute Menschen schon zu meinen begannen, daß Gott beschlossen habe, dem Volk in dieser jammervollen Stadt den Garaus zu machen. Es war zu der Zeit, als die Pest sich vollends in den östlichen Bezirken ausgebreitet hatte. Die Pfarre Aldgate beerdigte, wenn ich meine Schätzung nennen darf, zwei Wochen lang mehr als tausend in der Woche, obwohl das Register nicht so viele angab; es kreiste mich so erschreckend schnell ein, daß es in Houndsditch, in der Minoritenpfarre und in den Vierteln der Aldgate Pfarre, die um Butcher Row herum und mit ihren Hintergassen in meiner Richtung liegen, unter zwanzig Häusern nicht eines gab, das noch von der Seuche frei war. Hier, sage ich, herrschte der Tod in jedem Winkel. Im Whitechapel Sprengel war es ähnlich bestellt, und wenn auch lange nicht so schlimm wie in der Pfarre, wo ich wohnte, so begruben sie doch nahezu 600 in der Woche, gemäß dem Register, und nach meiner Schätzung doppelt so viele. Ganze Familien, ja ganze Straßenzüge von Familien wurden zusammen hinweggefegt; soweit, daß es für Nachbarn nichts Seltenes mehr war, dem Klingler zuzurufen, er solle zu dem und dem Hause gehen und die Leute herausholen, denn sie seien alle miteinander tot.
Und in der Tat, das Werk der Leichenüberführung auf Wagen war nunmehr so widerlich und gefährlich geworden, daß man Beschwerden hören konnte, die Totenträger verabsäumten es, Häuser, in denen alle Einwohner tot waren, von Leichen auszuräumen, statt dessen seien manchmal die Leichen mehrere Tage unbeerdigt liegen geblieben, bis benachbarte Familien vom Gestank belästigt und in der Folge infiziert worden seien; und diese Nachlässigkeit
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