Die Pest Zu London
oder geflohen war; in einer Zeit wie dieser konnte man es eben nicht so genau nehmen.
Es war in der Tat herzzerreißend anzuhören, wenn die armen sterbenden Menschenkinder jammernd und wehklagend nach Geistlichen riefen, die ihnen Trost spenden, mit ihnen beten und ihnen geistlichen Rat erteilen sollten; oder wenn sie zu Gott um Vergebung und Erbarmen flehten und laut ihre vergangenen Sünden bekannten. Es würde das verstockteste Herz bluten machen, die vielen Warnungen zu hören, die die Bußfertigen im Sterben an die anderen richteten, die Reue nicht zu verzögern und sie nicht auf den Tag der Bedrängnis zu verschieben; denn wenn die Not erst hereingebrochen sei, so wie jetzt, sei es für die Buße zu spät, dann sei nicht der rechte Augenblick, zu Gott zu rufen. Ich wünschte, ich könnte den lebendigen Ton jener Seufzer und Ausrufe wiederholen, die ich von solchen armen Menschenkindern hörte, wenn sie in ihrem Todesringen und ihrer Drangsal zum Letzten kamen, und ich könnte sie den, der dies liest, mithören lassen, so wie ich sie jetzt noch zu hören vermeine, denn der Ton scheint immer noch in meinen Ohren zu klingen.
Wenn ich hierüber doch nur in so bewegenden Worten zu sprechen wüßte, daß es den Leser bis in die tiefste Seele erschüttert, dann wäre es eine Freude für mich, diese Dinge aufgezeichnet zu haben, wie kurz und unvollständig auch immer.
Es gefiel Gott, mich immer noch verschont zu lassen, und ich war frisch und kerngesund, nur sehr ungeduldig, mich länger im Hause luftdicht einzukapseln, wie ich es vierzehn Tage lang oder so nun schon tat, und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, sondern ich mußte gehen und einen Brief an meinen Bruder zum Posthaus bringen. Und da bemerkte ich allerdings, was für ein tiefes Schweigen in den Straßen herrschte. Als ich zum Posthaus kam und gerade hineingehen wollte, um meinen Brief aufzugeben, sah ich in einer Ecke des Hofes einen Mann stehen und mit einem anderen sprechen, der zu einem Fenster herausschaute, und ein dritter hatte eben eine Tür der Amtsräume geöffnet.
Mitten auf dem Hof lag eine kleine Lederbörse mit zwei Schlüsseln, die daran befestigt waren; es war Geld darin, aber niemand wollte sie anrühren. Ich fragte, wie lange sie dort schon liege; der Mann in dem Fenster sagte, sie liege dort schon beinahe eine Stunde, aber man habe sie nicht angerührt, denn man wisse ja nicht, ob nicht die Person, die sie verloren habe, zurückkommen und nach ihr suchen möchte. Ich war nicht so in Geldverlegenheit, und die Summe konnte auch nicht so groß sein, daß ich Lust verspürt hätte, mich daranzumachen und das Geld unter der Gefahr, in die ich dabei vielleicht lief, zu nehmen; so war ich eigentlich schon auf dem Weg nach Haus, als der Mann, der aus der Tür herausgetreten war, sagte, er wolle sie aufheben, aber freilich, wenn der rechtmäßige Eigentümer komme, so solle er sie gewiß zurückerhalten. Er ging also hinein und holte einen Eimer Wasser und setzte ihn dicht neben der Geldbörse nieder, dann ging er nochmals und holte etwas Schießpulver und streute reichlich davon auf die Börse, und dann machte er eine Zündlinie von diesem Pulver aus, das er lose auf die Börse gehäufelt hatte. Die Zündlinie reichte etwa zwei Yards weit. Danach ging er zum dritten Male hinein und kam mit einer rotglühenden Zange wieder, die er wohl für diesen Zweck vorbereitet hatte, und setzte zuerst die Zündlinie in Brand; das versengte die Börse und räucherte die Luft genügend aus. Aber damit war er noch nicht zufrieden, sondern er nahm dann die Börse mit der Zange hoch und hielt sie so lange, bis das heiße Eisen das Leder durchgebrannt hatte, und dann schüttelte er das Geld in den Wassereimer heraus und trug ihn hinein. Der Betrag war, wenn ich mich recht erinnere, ungefähr dreizehn Schillinge und einige blanke Heller und Kupferpfennige.
Es hätte vielleicht mehr als einen Armen gegeben, wie ich vorher bemerkte, der, wo es um Geld ging, sich nicht lange besonnen hätte zuzugreifen; aber man kann leicht aus dem, was ich hier schilderte, ersehen, daß die wenigen, die verschont blieben, zu der Zeit, als das Unheil so über die Maßen groß war, sich sehr in acht nahmen.
Ziemlich um die gleiche Zeit machte ich einen Weg über die Felder nach Bow hinaus; denn ich war sehr begierig zu erfahren, wie man sich auf dem Fluß unter den Schiffsleuten eingerichtet hatte; und da ich mit der Schiffahrt zu tun hatte, war mir der Gedanke gekommen, daß es
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