Die Pest Zu London
solch verständiger Sorge und auf solch liebevolle Art von seiner Familie sprechen hörte, daß ich es zuerst nicht über mich brachte, überhaupt mitzufahren. Ich sagte ihm, ich wolle mir lieber meine Neugier aufsparen, als ihn unruhig zu machen, obwohl ich sicher sei und sehr dankbar dafür, daß ich nicht mehr von der Pest an mir trage als der frischeste Mensch der Welt. Nun, er wollte auch nicht, daß ich es aufschöbe, und um mir zu beweisen, mit welcher Gewißheit er mir Vertrauen schenkte, drang er nunmehr in mich mitzufahren; und so stieg ich denn, als die Flut bis zu seinem Boot gekommen war, ein, und er fuhr mich nach Greenwich. Während er die Sachen einkaufte, die er zu kaufen beauftragt war, ging ich auf die Höhe des Hügels hinauf, zu dessen Füßen die Stadt liegt, und auf die Ostseite der Stadt, um eine Aussicht auf den Fluß zu haben. Wirklich, es war ein überraschender Anblick zu sehen, wieviele Schiffe da in Reihen lagen, immer zwei und zwei, und an manchen Stellen zwei oder drei solcher Reihen in der ganzen Breite des Flusses; und das nicht nur ganz bis zur Stadt hin auf der Flußstrecke, die der Pool heißt, zwischen Ratcliff und Redriff, sondern auch den ganzen Fluß abwärts, ja bis nach Long Reach hinunter, dessen Höhe das Entfernteste ist, was die Hügel uns zu sehen erlauben.
Ich kann die Zahl der Schiffe nicht schätzen, aber ich glaube, es müssen mehrere hundert Segel gewesen sein; und ich konnte diesem Ausweg, den man da gefunden hatte, nur Beifall zollen, denn zehntausend Menschen, vielleicht mehr, die mit dem Schiffsgewerbe zu tun hatten, waren hier sicherlich vor dem Toben der Seuche geschützt und lebten recht sicher und bequem.
Ich kehrte zufrieden mit meiner Tagereise und besonders mit meinem armen Freund in meine Wohnung zurück; und es freute mich auch zu sehen, daß für so viele Familien in der Zeit solcher Trübsal diese kleinen Zufluchtsorte geschaffen worden waren. Ich beobachtete dann, daß so, wie die Pest an Heftigkeit zunahm, die Schiffe mit Familien an Bord sich entfernten und weiter fort fuhren, bis zuletzt, so hat man mir erzählt, manche ganz auf See hinausgingen und an der Nordküste die Häfen und ungefährdeten Plätze aufsuchten, die sie am besten erreichen konnten.
Aber es war ebenfalls wahr, daß die Leute, die so das Land verlassen hatten und auf den Schiffen lebten, nicht vollkommen sicher vor der Ansteckung waren, denn viele starben und wurden über Bord in den Fluß geworfen, manche in Särgen, manche, wie ich hörte, auch ohne, und ihre Leichen konnte man öfters mit der Flut den Fluß hinauf und hinunter treiben sehen.
Aber ich glaube, ich kann so weit gehen zu sagen, daß bei den Schiffen, die dennoch infiziert wurden, es geschah, entweder weil man sich da zu spät besonnen hatte und erst dann auf das Schiff ausgewichen war, als man schon zu lange am Land verweilt hatte und die Pest bereits im Leibe trug, vielleicht ohne es selbst zu bemerken; und so ist die Pest nicht zu ihnen an Bord gekommen, sondern sie haben sie in Wahrheit selbst mitgebracht; oder es geschah auf jenen Schiffen, wo, wie es der arme Fährmann sagte, man nicht mehr genügend Zeit gehabt hatte, sich mit Lebensmittelvorräten einzudecken, sondern genötigt war, oft jemand ans Land zu schicken, um einzukaufen, oder Boote bei sich anlegen lassen mußte, die vom Ufer kamen. Und so wurde die Seuche zu ihnen eingeschleppt, ohne daß sie es merkten.
Und hier muß ich einmal die Feststellung treffen, daß eine merkwürdige Denkungsart der Londoner Bevölkerung zu der Zeit in äußerstem Grade zu ihrer eigenen Vernichtung beitrug. Die Pest begann, wie ich es geschildert habe, am anderen Ende der Stadt, in Long Acre, Drury Lane etc. und bewegte sich nur sehr allmählich und langsam auf die innere Stadt zu. Sie machte sich zuerst im Dezember bemerkbar, dann wieder im Februar, dann wieder im April, und immer nur recht wenig auf einmal; dann hörte sie bis Mai ganz auf, und noch in der letzten Woche im Mai gab es nur siebzehn Fälle, und alle in jenem Teil der Stadt; und diese ganze Zeit über, ja sogar noch bis dann 3000 in der Woche starben, hatten in Redriff und in Wapping und in Ratcliff, auf beiden Ufern, und beinahe auf der ganzen Southwark-Seite die Leute die mächtige Einbildung, daß sie nicht heimgesucht werden würden oder daß es zumindest bei ihnen nicht so schlimm sein werde. Manche hatten die Vorstellung, daß der Geruch von Pech und Teer und solcher anderen Stoffe wie Öl und
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