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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Rüsselsheim, bevor sie es vor Hunger und Erschöpfung nicht mehr aushielt. Doch auch hier wahrte sie Vorsicht. Sie versteckte die auffällige Scheckstute in einem Wäldchen und ging zu Fuß in die kleine Stadt. Auch hier wütete die Pest. Die Straßen waren wie ausgestorben. Lucia sah vor allem Geistliche und Totengräber, die zum zweiten Mal an diesem Tag ihre Wagen mit Leichen beluden. Niemand wunderte sich darüber, dass Lucia die Kapuze ihres Mantels trotz der Wärme weit ins Gesicht zog und obendrein einen Fetzen ihres Hemdes vor Mund und Nase hielt.
    Lucia fragte einen der Totengräber nach einem Pfandleiher und wurde an einen Juden verwiesen.
    Das Geschäft des Salomon Ascher fand sie sofort. Der grauhaarige ältere Mann beäugte sie misstrauisch. Beim Anblick des Silberleuchters schien sein Argwohn geweckt.
    »Ich frage besser nicht, wie du den erworben hast, Mädchen!«, sagte er streng.
    Lucia lief rot an. »Es ist nicht, wie Ihr glaubt«, erklärte sie. »Es war ein Geschenk.«
    Ein Geschenk zu Leas Hochzeit - und Lucias erste Lüge auf dieser Reise. Doch sie hatte kein schlechtes Gewissen und schaffte es sogar, dem Pfandleiher ins Gesicht zu schauen. Lea hätte den Leuchter sicher lieber in ihren Händen gesehen als in denen der boshaften Magd.
    Der Jude akzeptierte Lucias Erklärung, bot ihr aber nur einen erschreckend niedrigen Betrag an Kupferpfennigen für den Leuchter. Wer immer ihn Lea geschenkt hatte, musste mehr als das Zwanzigfache dafür bezahlt haben. In ihrer Verzweiflung wies Lucia darauf hin, doch der Mann sah sie nur noch strafender an.
    »Du weißt den Wert von Silber abzuschätzen? Ist es Erziehung oder viel Erfahrung im Plündern?«, fragte er kalt. »Mein Gebot steht, Mädchen. Nimm es oder lass es. Ich bin nicht auf das Geschäft angewiesen. Mein Herz sagt, es klebt Blut an diesem Leuchter, ob du selbst es vergossen hast oder nicht!«
    Das Blut würde den Kerl aber nicht daran hindern, selbst einen ordentlichen Profit aus dem Verkauf des Leuchters zu schlagen. Lucia ärgerte sich, wagte aber nicht, es dem Mann ins Gesicht zu sagen. Stattdessen wollte sie schon widerwillig zustimmen. Aber dann sah sie einen kleinen Dolch in der Auslage des Pfandleihers. Er war zierlich und schlicht, aber offensichtlich gepflegt und messerscharf. Dazu gehörte eine Lederscheide, die eine Frau unauffällig am Gürtel tragen konnte. Die ideale Waffe, um einen Angreifer abzuwehren, der sich einem zierlichen Mädchen gegenüber sicher fühlte.
    »Gebt mir das Geld und dieses Messer«, verlangte Lucia.
    Der Mann runzelte die Stirn. »Das ist eine gute Klinge. Wie käme ich dazu, dir das Messer zu schenken?«
    »Ihr schenkt es mir nicht. Ihr macht immer noch ein gutes Geschäft. Das Geld und der Dolch, oder ich suche mir jemand anderen.«
    Lucia hätte gar nicht mehr die Kraft gehabt, den Ort nach einem anderen Pfandleiher abzusuchen oder gar zum nächsten Marktflecken weiterzureiten. Aber ihre Stimme klang entschlossen und alles andere als bittend. Der Mann musste glauben, dass sie es ernst meinte.
    Schweigend schob er den Dolch über die Theke und zahlte das Geld aus.
    »Ich danke Euch«, sagte Lucia widerstrebend, ehe sie den Laden verließ. »Ihr solltet Eure Frau und Eure Tochter ebenfalls mit solchen Waffen ausstatten. Es sind Trupps von Judenschlägern unterwegs - Mainz hat ihnen schon die Tore geöffnet. Vielleicht kann Eure Tochter ihre Haut ja teurer verkaufen als ich meinen Leuchter!«
    Eilig verließ sie das Judenviertel und erstand ein Brot bei einem christlichen Bäcker. Sie musste mit dem Geld haushalten; sehr weit würde sie nicht damit kommen. Nach Milch und Käse fragte sie auf Bauernhöfen. Außerdem wollte sie so schnell wie möglich zurück zu ihrem Maultier. Nicht auszudenken, dass jemand die Stute fand und an sich nahm!
 
    Die Schecke - Lucia erinnerte sich jetzt, dass Lea sie »Pia« genannt hatte - wartete brav in dem Wäldchen. Sie trug Lucia auch an diesem Tag noch ein paar Meilen weiter, ehe sie wieder in einem Wald rastete. Erneut wickelte sie sich in Leas Mantel und versuchte, nicht an die Gefahren dieses Schlafplatzes zu denken. Schließlich umklammerte sie ihr kleines Messer und schlief damit ein, auch wenn böse Träume sie plagten. Doch niemand behelligte sie: In diesem Sommer hatte die Pest auch unter den Gaunern gründlich aufgeräumt.
    Im Laufe der nächsten Tage fühlte Lucia sich immer sicherer. Die Straßen im Rheinland erwiesen sich als nahezu menschenleer.

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