Die Pestärztin
Stadt rasch hinter sich zu bringen. Überhaupt war sie die Reise leid. Sie musste bald einen festen Ort finden und sich eine Stelle suchen - auch deshalb, weil der Spätsommer längst dem Herbst gewichen war. Es war inzwischen mehr als ungemütlich, ohne Wetterschutz im Wald zu schlafen, und Lucia verbrachte die Nacht oft zitternd und durchnässt im Schutz eines improvisierten Zeltes aus Leas Mantel und ein paar mit dem kleinen Dolch geschnittenen Ästen. Mitunter wagte sie dann, ein Feuer zu entzünden, aber gern tat sie es nicht: Der Feuerschein mochte ungebetene Gäste anlocken.
Zum Glück stellte der Pfandleiher diesmal keine bohrenden Fragen, als Lucia den Sattel im Nürnberger Judenviertel anbot. Freilich regte sich seine Neugier: Ein zerlumptes, heruntergekommenes Frauenzimmer, das dennoch einen wertvollen Sattel und ein schönes Reittier besaß, musste auffallen. Doch der alte Jude hielt sich zurück. Er bot auch einen verhältnismäßig fairen Preis, merkte allerdings an, dass der Sattel schlecht gepflegt sei. Sonne und Regen hatten das Leder ausgebleicht und brüchig werden lassen; Lucia hatte schließlich weder Zeit gehabt, ihn zu putzen, noch hätte das Geld für gutes Lederfett ausgereicht.
»Wollt Ihr die Stute auch verkaufen?«, fragte der Pfandleiher schließlich, als Lucia die Pfennige in ihren Rocktaschen verstaute. »Das ist ein schönes Tier und gut bemuskelt. Wenn auch ein bisschen mager!«
Das stimmte. Pia hätte etwas Kraftfutter brauchen können, obwohl Lucia immerhin darauf achtete, ihr ausreichend Zeit zum Grasen zu lassen. Dieses billige Futter ging allerdings langsam aus, jetzt im Herbst wuchs das Gras nicht nach. Vor dem Winter brauchte nicht nur Lucia eine Unterkunft, sondern auch Pia einen ordentlichen Stall.
Lucia dachte kurz daran, das Tier dem Händler zu überlassen, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatte sich nun mal entschlossen, nach Regensburg oder Landshut weiterzureisen, und das ging zu Pferde schneller als auf Schusters Rappen. Auch wenn eine Magd, die zu Fuß unterwegs war, natürlich weniger Aufsehen erregte. Vielleicht konnte sie das Maultier ja kurz vor ihrem Ziel verkaufen ... oder zumindest, bevor sie sich auf Arbeitssuche begab. Viehmärkte gab es in jeder Stadt.
So dankte sie dem Pfandleiher nur kurz, deckte sich auf dem reichhaltigen Markt mit Lebensmitteln und ein paar Ingredienzien für dringend benötigte Heil- und Pflegemittel ein und erstand auch einen Beutel, um sich die Vorräte über die Schulter zu hängen. Der Verzicht auf die Satteltaschen fiel ihr in den nächsten Tagen schwerer als der Verlust des Sattels an sich. Die sanfte Stute ließ sie gut auf ihrem Rücken sitzen, aber die Schultertasche belastete sie und störte das Gleichgewicht.
Immerhin bewirkte die Salbe aus Ringelblumen und Schweinefett, dass die wunden Stellen an ihrer Scham, ihrem Gesäß und den Oberschenkeln abheilten. Allerdings nutzten die verschiedenen Kräuter, die sie sonst noch erstanden hatte, nichts gegen ihr ständiges Unwohlsein und ihre spannenden Brüste. Nach allem, was sie von Al Shifa und aus dem Handbuch des Ar-Rasi wusste, hätte nach dem Genuss eines Tees aus diesen Ingredienzien eigentlich ihre Monatsblutung einsetzen sollen, die über all den Strapazen bislang ausgeblieben war. Hier aber tat sich nichts. Lucia fühlte sich ausgebrannt und erschöpft. Sie war froh, als sie Regensburg endlich näher kam und hätte vorher gern noch an einem Fluss oder See gerastet, um sich gründlich zu reinigen und das Beste aus den Fetzen ihrer Kleidung zu machen. Ihre künftige Herrschaft würde nicht übersehen, dass sie arm war, aber sie wollte doch wenigstens sauber und ordentlich wirken. Eine Geschichte zur Erklärung ihrer Herkunft hatte Lucia sich auch schon ausgedacht. Sie würde behaupten, bei einer jüdischen Familie in Mainz in Stellung gewesen zu sein. Nach dem Pogrom war sie aus der Stadt geflohen.
Doch es sollte anders kommen. Lucia fand keinen verschwiegenen Ort für eine Reinigung, nicht einmal einen Platz, um allein und ungestört rasten zu können. Stattdessen geriet sie schon viele Meilen vor der Stadt in einen nicht enden wollenden Strom von Gauklern, Händlern und Wunderheilern. In diesen Tagen, so verriet man ihr, fand in Regensburg die »Emmeramsdult« statt. Auf dem Jahrmarkt würde es hoch hergehen, und jeder versprach sich gute Einnahmen.
»Du wirst dich dumm und dämlich verdienen mit deinem hübschen Frätzchen!«, rief lachend ein Bader,
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