Die Pestärztin
trockeneren Luft? Dann hätten die iberischen Lande, Italien und das Heilige Land erst recht verschont bleiben müssen! Wahrscheinlich war es bloß Zufall, aber Lucia interessierte es jetzt ohnehin nicht mehr. Sie wollte nur weg von Mainz und von der Pest. Wohin war ihr egal. Hauptsache fort von Schmerzen, Brand und Tod - und von der Demütigung durch die Männer am Tor.
Die ersten Meilen brachte sie denn auch im Galopp hinter sich. Sie floh wie von Furien gehetzt, ohne lange darüber nachzudenken. Erst als Leas Stute zu ermüden begann, spürte auch Lucia ihre schmerzenden Glieder - und den Makel, der noch an ihr zu haften schien, solange sie Martins und Bertholds Schweiß auf dem Körper spürte und ihren Samen in sich trug. Nach wie vor aber wagte sie nicht zu rasten. Immerhin hatte sie einen Stadtbüttel getötet. Womöglich waren ihr die Häscher bereits auf den Fersen.
Erst als es fast schon dunkel wurde, suchte sie sich eine flache Stelle am Rheinufer, ließ die Scheckstute grasen und tauchte in das kühle Wasser des Flusses. Endlich Reinigung von all dem Schmutz und dem Gestank dieses furchtbaren Tages! Sie empfand die Kälte des Rheins wie eine tröstliche, lindernde Umarmung. Natürlich hatte sie keine Seife, aber sie rieb sich mit Flusssand ab, bis ihre Haut gereizt und gerötet war und ihre Scham noch mehr brannte als zuvor. Aber das war egal. Wenn sie nur alles loswurde, was die beiden Stadtbüttel ihr angetan hatten! Auch der Gestank nach Rauch sollte verschwinden; sie wollte den Odem des Todes nicht mit auf die Reise nehmen.
Lucia verrieb sogar Flusssand in ihren Haaren. Eine Zeitlang scheuerte sie sich beinahe selbstzerstörerisch wie eine Besessene. Dann kam sie allmählich wieder zu sich. So ging es nicht; die Reise würde beschwerlich genug werden. Es war unsinnig, sich vorher die Haut wund zu reiben. Stattdessen wusch sie nun auch ihre Kleider und malträtierte sie mit Flusskieseln, wobei sie alle Wut ausließ, indem sie den Stoff schlug und rieb, als könnte sie damit den Mob von Mainz und die Judenschläger zermalmen. Das Wasser des Rheins wurde zum Blut ihrer Feinde. Lucia hörte erst auf, ihre Kleider zu schrubben, als sie völlig erschöpft war. Schließlich hängte sie die Sachen auf und hoffte, dass sie über Nacht trocknen würden.
Sie selbst rollte sich zum Schlafen in Leas Reitmantel, den zumindest Martin und Berthold nicht berührt hatten. Allerdings hing auch hier noch der Geruch von Rauch und Brand im leichten Tuch. Lucia befürchtete, die ganze Nacht von dem Feuer zu träumen, aber das war nicht der Fall. Stattdessen schlief sie zunächst tief und traumlos und fand sich nur gegen Morgen in einem angenehmen Traum: Sie saß mit Clemens am Feuer und sprach über eine mögliche Flucht nach Süden. Als sie erwachte, fühlte sie sich beinahe ein wenig getröstet. Vielleicht hatte sie ja seinen Geist berührt ...
Natürlich waren die Kleider am Morgen noch klamm, und Lucia fröstelte, als sie ihr Hemd überzog. Immerhin rochen die Sachen jetzt sauber. Lucia fühlte sich besser, als schließlich die Sonne aufging und ein weiterer heißer Hochsommertag anbrach. Allerdings quälte sie jetzt der Hunger. Sie hatte seit dem Frühstück am letzten Tag nichts mehr gegessen, besaß aber kein Geld, um in einem der Bauernhäuser, an denen sie mitunter vorüberkam, ein paar Lebensmittel zu kaufen. So ritt sie trotz zunächst knurrendem und dann mit heftiger Übelkeit protestierendem Magen weiter und versuchte, die Dörfer am Weg weitgehend zu meiden.
Es war gefährlich für eine Frau, allein zu reisen, erst recht für ein Mädchen, das man womöglich als Mörderin und Hexe suchte. Lucia glaubte allerdings nicht, dass man ihr jetzt noch Häscher hinterherschickte. Die Obrigkeit von Mainz hatte innerhalb der Stadtmauern genügend zu tun. Und wer wusste schon, was der überlebende Stadtbüttel erzählt hatte? Bestimmt hatte er nicht zugegeben, dass sich ein zierliches Mädchen die Flucht aus der Stadt erzwungen hatte! Wahrscheinlich hatte er von Horden von Judenschlägern und Flagellanten gefaselt, denen er nach schwerem Kampf unterlegen war.
Dennoch erschien es Lucia sinnvoll, so viele Meilen wie möglich zwischen sich und ihre Heimatstadt zu legen, ehe sie Leas Leuchter versetzte. Sie wusste nicht, wer ihn der Freundin zur Hochzeit geschenkt hatte, und wollte auf keinen Fall riskieren, dass ein Händler aus der Gegend das Stück erkannte und peinliche Fragen stellte.
So ritt sie bis nach
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