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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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entblößtem Oberkörper in den Kreis warfen. Ihr Meister schritt dann nacheinander über sie hinweg, um sie mit Absolutionssprüchen gleichsam zu »erwecken«. Die so Berührten erhoben sich, bis alle standen, geißelten sich dann in drei Durchgängen und warfen sich wieder mit ausgebreiteten Armen zu Boden - das alles mindestens einmal pro Nacht. Geißlerumzüge dauerten dreiunddreißig anderthalb Tage; sie sollten Leben und Leiden Christi nachvollziehen. Wenn sie die Marter überlebten, kehrten die Männer in ihr normales Leben zurück und brachten nur zu oft die Pest in ihre Heimatorte ...
 
    Lucia hatte inzwischen Bayern als grobes Ziel ihrer Reise ausgemacht. Clemens hatte von Regensburg als einem schönen Ort gesprochen; er hatte dem dortigen Medikus eine Zeitlang gedient. Außerdem hatte Lucia den Ortsnamen »Landshut« im Kopf. Dort hatten die Speyers Verwandte gehabt, und gegen alle Logik fühlte sie sich nach wie vor zu Leas Familie hingezogen. Sicher gab es dort eine große jüdische Gemeinde, in der sich vielleicht Arbeit für eine christliche Magd fand. Die meisten reichen Juden beschäftigten christliche Hausangestellte. Das war praktisch, schon um den Haushalt am Sabbat in Gang zu halten. Dann war gläubigen Juden schließlich jeder Handgriff verboten, der auch nur entfernt als Arbeit zu deuten war, und besonders im Winter wurde es ohne Herdfeuer und warmes Essen doch ziemlich ungemütlich. Lucia hätte sich sogar zugetraut, koscher zu kochen. Schließlich hatte sie viele Stunden ihrer Kindheit bei Al Shifa und der Köchin der Speyers in der Küche zugebracht. Die Erinnerungen daran überkamen sie immer wieder, während sie einsam durch die Wälder ritt. Damals war sie glücklich gewesen ...
    Nach wie vor versuchte sie krampfhaft, die schlimmen Erlebnisse der letzten Tage in Mainz zu vergessen und sich lieber die Zeit mit Al Shifa und vor allem Clemens vor Augen zu führen. Wieder und wieder durchlebte sie in ihren Tagträumen ihre Umarmungen - und durchlitt in den Nächten erneut die Flucht aus dem brennenden Judenviertel und die Schändung am Fischtor.
 
    Nach einigen Wochen erreichte Lucia Nürnberg und musste sich in die Stadt wagen. Das Geld für den Leuchter war aufgebraucht, und so hatte sie sich nach reiflicher Überlegung entschlossen, Leas Sattel zu verkaufen. Die aufwendig verarbeitete und mit Silberbeschlägen geschmückte Montur war kostbar und würde sicher einiges einbringen. Lucia selbst saß ohne Sattel genau so sicher, wenn nicht sogar bequemer auf dem Pferd; sie hatte längst keine Angst mehr davor. Auf jeden Fall konnten die Rückenschmerzen, die sie fast jeden Tag plagten, kaum schlimmer werden, ebenso wenig die ziehenden Schmerzen in ihrer Brust. Lucia fühlte sich in letzter Zeit fast immer, als stünde sie kurz vor der Menstruation; ihr Körper schien durch die Misshandlungen der Büttel und die nachfolgenden Strapazen der Reise völlig durcheinandergeraten zu sein. Sie hoffte, in Nürnberg auch Schweinefett und einen Topf kaufen zu können. Ringelblumen hatte sie bereits gesammelt. Wenn sie beides kochte, konnte sie sich eine lindernde Salbe für ihre brennende Scham und die vom Reiten wunden Schenkel bereiten.
 
    Nürnberg war von der Pest verschont geblieben, was schon auf den umliegenden Straßen unschwer zu erkennen war. Hier herrschte viel mehr Verkehr als in den Pestgebieten; auf den Zufahrtswegen zur Stadt wimmelte es von Gauklern und herumreisenden Badern und Chirurgen, die lauthals ihre Dienste anpriesen. Bauern brachten ihre Erzeugnisse in die Stadt, reiche Juden begleiteten schwer bewachte Planwagen mit Handelswaren aus fernen Ländern. Mitunter flüchtete alles rasch an den Straßenrand, wenn ein Trupp Ritter vorbeisprengte, oder machte einer Sänfte und ihrer bewaffneten Begleitung ehrerbietig Platz. Man grüßte Geistliche, die auf edlen Maultieren reisten, oder gab Bettelmönchen ein Almosen.
    Lucia hätte das Treiben beinahe genossen, wären ihr nicht so viele argwöhnische Blicke gefolgt. Sie versuchte, sich mit den wenigen verschlissenen Kleidungsstücken zu verschleiern, die ihr geblieben waren, doch Leas Mantel trug nach wie vor die Judenringe, und Lucia befürchtete, als Jüdin noch mehr als Freiwild zu gelten denn als Christin. Sie erhielt jetzt immer wieder zweideutige Angebote, und so mancher Reisende, der lange keine Frau gehabt hatte, bot ohne viel Federlesen Geld für Liebesdienste. Lucia lehnte alles strikt ab und hoffte nur, den Ausflug in die

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