Die Pestärztin
abnehm, dann nur um deiner schönen Augen willen!«
In Lucias Augen standen jetzt Tränen. Es fiel ihr ohnehin schwer, sich von Pia zu trennen. Und nun sollte sie nur ein paar Pfennige dafür bekommen?
»Dem Dov Williger mag so leicht keiner was vormachen. Ist er doch selbst ein Meister im Lug und Trug!«
Während Lucia noch nachdachte und der Händler sie schmoren ließ, war ein Mann hinter das Mädchen getreten. »Glaubt dem Gauner kein Wort, junge Frau! Ihr habt da ein außerordentlich wertvolles Tier. Ich habe selbst mal ein vergleichbares erstanden und ein Vermögen dafür bezahlt.«
Lucia sah sich um und erkannte einen älteren, in wertvolles Tuch gekleideten Herrn. Er trug einen Judenhut, ähnlich dem des Händlers, aber nicht speckig, sondern aus bestem Filz, und sein Mantel war aus erlesenem Wollstoff. Nur das Judenzeichen störte das Bild.
Der Mann verbeugte sich leicht und machte sich daran, die Stute ebenso ausgiebig zu mustern wie der Händler. Dabei wurde sein Gesicht immer finsterer, und zwischen seinen Augen stand eine tiefe Furche, als er sich schließlich wieder Lucia zuwandte.
»Ich muss mich berichtigen, junge Frau!«, bemerkte er in jetzt viel strengerem Tonfall. »Vor zwei Jahren erstand ich kein vergleichbares Maultier auf diesem Markt, sondern eben dieses. Es ist kein Zweifel möglich. Eine solche Scheckung findet sich kein zweites Mal. Also raus mit der Sprache, Mädchen! Woher hast du das Tier?«
Lucias Gedanken arbeiteten fieberhaft. Dieser reich gekleidete Jude musste Leas Onkel sein! Der Vater ihrer Schwägerin! Wenn sie sich nur an seinen Namen erinnern könnte ...
»Zach ... Zacharias Levin?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
Der Mann betrachtete sie aufmerksam und kniff dabei die Augen zusammen. Offensichtlich konnte er nicht gut sehen; eben schon war Lucia aufgefallen, dass er die Beine der Stute eingehender abgetastet hatte als der Händler, dem sicher gleich beim ersten Blick aufgefallen war, dass Pia untadelig gebaut war.
»Um des ewigen Gottes willen, du ... du bist Lea!« Der Mann schien zu schwanken. »Natürlich, der Mantel ... du trägst das Judenzeichen, ich hätte gleich sehen sollen, dass der Kerl hier eben eine Glaubensgenossin betrügt! Aber man sagte uns, sie seien alle umgekommen ...« Zacharias Levin griff spontan nach Lucias Händen. »Und meine Augen sind nicht mehr so gut. Verzeih, dass ich dich nicht gleich erkannt habe!«
Lucia errötete tief und fühlte erneut den Schmerz um Leas Verlust in sich aufwallen. Sie musste diesen Irrtum aufklären.
Der Mann drückte ihre Hände und kam ihr beinahe unziemlich nahe, um sie genauer ansehen zu können. Er schien tatsächlich halb blind zu sein.
»Aber jetzt wird alles gut, Lea, meine Kleine!«, sagte er freundlich. »Wie mager du bist, und wie abgerissen du daherkommst! Wir werden dich aufpäppeln müssen. Aber wie bist du entkommen? Und was ist mit dem Kind?«
Lucia holte tief Luft. »Das Kind ist tot. Und ...«
»Und Juda ebenfalls«, murmelte Levin. »Und meine Rebecca, deine Eltern und Brüder. Ich weiß, mein armes Mädchen! Wir wähnten ja auch dich unter den Opfern. Es hat die Hälfte der Juden von Mainz getroffen. Aber lass uns erst mal nicht darüber reden. Du brauchst ein Bad, Kind, und warme Kleidung, und ein Bett. Du musst wochenlang unterwegs gewesen sein!« Er legte Lucia den Arm um die Schulter, doch es schien fast, als müsse er sich auf sie stützen. Der Verlust seiner Tochter und ihrer Familie in Mainz musste ihn tief getroffen haben. Allerdings fand er noch die Kraft, den Pferdehändler mit einem vernichtenden Blick zu bedenken. »Und du pack dich, Dov Williger!«, rief er ihm zu. »Du bist eine Schande für dein Volk! Wenn die Christen alle Juden als Gauner und Rosstäuscher abtun, liegt es an Kerlen wie dir! Die Maultierstute steht im Übrigen nicht mehr zum Verkauf, meine Nichte wird sie behalten.«
Lucia folgte Zacharias Levin wie in Trance. Sie wusste, dass sie jetzt hätte reden müssen. Jeder Augenblick, der verstrich, machte es schwerer, die Verwechslung aufzuklären. Doch tief in ihr stieg wieder jene Kälte auf, die ihr schon zweimal geholfen hatte, zu überleben. Erneut trat skrupelloses Kalkül an die Stelle ihrer Gefühle. Sie war fremd hier - und sie war nicht gesund. Noch immer hatte ihre Monatsregel nicht eingesetzt, und sie fühlte sich müde. Während Zacharias Levin lebhaft erzählend neben ihr herschritt, erlaubte Lucia sich erstmals, genauer über diese Symptome
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