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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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war sehr zufrieden. Bestimmt wartete Lea schon auf sie, und alle waren verwundert über ihre schnelle Gesundung.
    Tatsächlich aber wartete nur Al Shifa, die ihre Ziehtochter bereits in den unteren Höfen in Empfang nahm. Sie war fast verrückt vor Sorge.
    »Das fehlte mir gerade, dass ich mich auch um dich noch ängstigen musste!«, fuhr sie das Mädchen in ungewohnt harschem Ton an. »Lea hat hohes Fieber, ihre Mutter sorgt sich zu Tode, und all meine Mittel wirken nicht richtig. Und du verschwindest, statt mir zur Hand zu gehen! Wo warst du überhaupt? Du siehst ganz verfroren aus und blass!«
    Al Shifa zog ihren Liebling ins Haus und versorgte Lucia erst mal mit heißem Tee.
    »Nicht, dass du mir auch noch krank wirst. Und nun erzähl! Was hast du angestellt?«
    Lucia kam sich ein wenig dumm vor, als sie von ihrem Ausflug zur Kirche erzählte. Zumal er ja nichts gebracht hatte. Im Gegenteil, Lea ging es schlechter, und auch Esras Knie, für dessen Heilung sie pflichtschuldig ebenfalls ein paar Gebete gesprochen hatte, war immer noch geschwollen und steif.
    »Vielleicht hilft Gott den Juden wirklich nicht«, meinte sie schließlich resigniert. »Aber gerecht finde ich das nicht.«
    Al Shifa wusste offensichtlich nicht, ob sie über die Geschichte lachen oder weinen sollte. Schließlich setzte sie zu einer Erwiderung an, doch Benjamin von Speyer kam ihr zuvor. Der Kaufmann war eben eingetreten und hatte sich im Korridor vor dem Küchentrakt seines Mantels entledigt. Dabei musste er Lucias letzte Worte gehört haben.
    »Nun, die Leitung Gottes ist wunderbar. Wenn auch die Wohltaten gegen Israel nicht so augenfällig sind«, zitierte der Kaufmann den großen Rabbiner Eleazar ben Juda.
    Lucia sah verstört zu ihm auf, während Al Shifas Anspannung sich in einem nervösen Lachen Luft machte. Von Speyer zwinkerte ihr zu, ehe er sich direkt an Lucia wandte.
    »Es ehrt dich sehr, Kind, welche Sorgen du dir um deine Freundin machst, und wie viel Mühe du dir gibst. Aber so funktioniert es nicht mit Gottes Wohltaten. Nicht bei den Juden, nicht bei den Christen und nicht bei den Mauren. Schau, Lucia, der Ewige hat uns den Verstand geschenkt, auf dass wir ihn gebrauchen. Nicht nur zum Nachplappern von Gebeten, sondern zum Forschen und Lernen zur Ehre seines Namens. Irgendwo auf der Welt gibt es ein Heilmittel für fast jede Krankheit, Lucia. Aber die Menschen müssen es selbst finden und dann anwenden im Namen des Ewigen, der es geschaffen hat, so wir er uns geschaffen hat. Wenn wir ihm dann noch im Gebet dafür danken - umso besser. Aber Wunder tut Gott nur in seltenen Ausnahmefällen. Darauf kannst du nicht bauen. Und handeln kannst du erst recht nicht mit ihm. Wie geht es meiner Lea denn nun wirklich, Al Shifa? Sarah weint sich ja die Augen aus, wie ich höre. Sie hat extra ins Kontor nach mir schicken lassen. Ist es wirklich so schlimm?« Der Kaufmann schien das nicht anzunehmen. Wenn Lea tatsächlich lebensbedrohlich erkrankt wäre, hätte Al Shifa an ihrem Bett gesessen, statt hier mit Lucia zu philosophieren.
    Al Shifa verneigte sich. »Ich denke, das Fieber wird morgen sinken, Herr. Es schien auch im Laufe des Tages herunterzugehen, stieg gegen Abend aber wieder. Das kommt vor, Herr. Ich denke nicht, dass Leas Leben in Gefahr ist.«
    Benjamin von Speyer murmelte ein Gebet, bevor er Al Shifa dankend zunickte.
    Lucia hätte gern noch einiges gefragt, doch eben stieg das missmutige Grietgen die Treppe herunter und machte Anstalten, sie mit nach Hause zu nehmen. Die Magd hatte länger bleiben müssen und machte Lucias Ausbleiben dafür verantwortlich.
    Auch die Küferin schimpfte, als die Mädchen mit Verspätung eintrafen. Sie hatte ausgehen wollen, aber ihr jüngstes Kind war gerade erst sechs Wochen alt. Das mochte sie denn doch nicht mit Grietgens jüngeren Geschwistern allein lassen. Die Küfers lachten wiehernd, als Lucia sich mit ihrem Kirchenbesuch entschuldigte.
    »Gott hört halt nicht auf Hurenkinder!«, rief Eberhard, der Lucia im Alter nahe stand und sich gern und erbarmungslos über sie lustig machte.
    »Und auf Judenkinder erst recht nicht!«, höhnte die etwas ältere Gudrun. »Gib's doch zu, Lucia, du glaubst gar nicht an unseren Herrn Jesus Christus! Du plapperst Gebete nach, aber im Herzen bist du ein Jud!«
    Lucia kroch unter ihre Decken. Zu solchen Vorwürfen sagte sie am besten gar nichts - erst recht nicht, seit sie angefangen hatte, auch die Gebete mitzumurmeln, die Al Shifa fünfmal am Tag

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