Die Pestärztin
Witwenschaft hinwies.
»Was ist eigentlich aus diesem Ritter geworden?«, fragte Lucia, um abzulenken. Dies war mal ein unverfängliches Gesprächsthema mit Abraham Kahlbach. »Ihr wisst schon, Daphnes Schwarm vom Turnier ... wie hieß er noch? Adrian ...?«
»Adrian von Rennes«, ergänzte Kahlbach. »Und Daphne ist wohl nicht die Einzige, die ihr Herz an ihn verloren hat. Nach dem, was ich hörte, ist er immer noch bei Hofe. Der Herzog hat ihn schwer verletzt, die Frauen pflegen ihn. Die Herzogin vermutlich allen voran. So gesehen war diese Forderung zum Zweikampf kein kluges Vorgehen unseres Herrn.« Kahlbach lachte spöttisch.
»Welches aus Wut und Wein geborene Vorgehen ist schon klug?«, warf Hannah ein und erwies sich damit als überraschend gut informiert. Die Romanze zwischen der Herzogin und dem fahrenden Ritter war also sogar unter jüdischen Matronen ein Thema.
Kahlbach nickte. »Ihr sagt es, Frau Hannah! Insofern kann ich nur froh und glücklich sein, dass sich die Frau, die ich mir zur Gattin wünsche, Zeit lässt und meine Werbung klug überdenkt ... « Er lächelte Lucia zu. »Aber irgendwann wird es doch Zeit für eine Entscheidung, Frau Lea. Oder meint Ihr nicht?«
Lucia gab keine Antwort. Stattdessen tat sie so, als müsse sie Leona beruhigen, die in ihrem Arm friedlich schlief.
Kahlbach betrachtete das Mädchen.
»Sie ist ein schönes Kind«, schmeichelte er Lucia. »Und ihre Mutter wird zweifellos auch ihre Zukunft im Auge haben, wenn sie mich demnächst hoffentlich zustimmend bescheidet.«
Leona war wirklich ein hübsches kleines Mädchen. Infolge ihrer schnellen Geburt wirkten ihre Gesichtszüge nicht verformt und verknittert wie bei vielen Säuglingen. Ihr Gesichtchen wirkte jetzt eher herzförmig als oval, und ihre Augen verloren inzwischen das Babyblau und wurden braun. Für Lucia ein weiteres, erleichterndes Zeichen: Leona hatte die Augen ihres Vaters Clemens. Nach wie vor zeigten sich keine Ähnlichkeiten mit einem der Stadtbüttel.
Abraham Kahlbach blickte sie abwartend an. Lucia musste jetzt etwas sagen, doch ihr fiel nichts Rechtes ein. Sie wollte Abraham nicht beleidigen, aber sie konnte auch nicht ...
»Lasst mir Zeit, Reb Kahlbach«, murmelte sie schließlich. »Ich will mich einfach noch nicht wieder binden ...«
»Du wirst kaum ein besseres Angebot erhalten«, bemerkte Zacharias Levin überraschend offen. Lucia wusste, dass er Kahlbachs Werbung befürwortete, aber so klare Worte vor dem Heiratskandidaten waren doch ungewöhnlich. »Ich kenne Reb Abraham seit Jahren. Er ist zuverlässig, und er ist reich. Was willst du mehr, Lea?«
Lucia errötete. »Vielleicht ... Liebe?«
Sie wusste, sie machte sich lächerlich.
Die Männer lachten denn auch verlegen.
»Die Liebe kommt mit den Jahren, Leale!«, erklärte auch Hannah - ein Satz, den Lucia auch von Sarah von Speyer kannte. Die Juden hielten nichts von Liebesheiraten. Ehen wurden von den Eltern für die Kinder arrangiert, oft noch mittels eines zwischengeschalteten Heiratsvermittlers. Dabei achtete man auf die Herkunft, die finanzielle Lage, auch ein wenig auf das Alter der Bewerber. Die Hochzeiter stimmten der Entscheidung ihrer Eltern in der Regel blind zu. Mitunter sahen sie sich bei der Trauung zum ersten Mal. Dennoch wurden die so geschlossenen Ehen überraschend oft glücklich. Lucia dachte an Lea und Juda, Esra und Rebecca. Und Benjamin Speyer hatte seine Sarah auf Händen getragen.
Wäre Lea die Tochter der Levins, gäbe es kaum einen Ausweg aus einer Ehe mit Kahlbach. Aber bei der Wiederverheiratung einer Witwe lag die Sache anders.
»Wenn ... wenn die Liebe dadurch kommt, dass man sich besser kennen lernt«, druckste Lucia, »dann muss man doch nicht unbedingt verheiratet sein. Ich schätze Euch durchaus, Reb Kahlbach. Wenn Ihr mich also besuchen wollt und ... mit mir reden ... dann habe ich nichts dagegen. Aber für ... für die Ehe bin ich noch nicht stark genug.«
»Oder nicht schwach genug.« Kahlbach lächelte. Es schien nur ein Wortspiel, aber Lucia hatte das Gefühl, einen kalten Hauch zu spüren. Es war fast, als klinge etwas Sardonisches in Kahlbachs Stimme mit. Auch Leona schien es gemerkt zu haben und regte sich in Lucias Arm. Die junge Frau nahm dies als Vorwand, mit dem Kind ins Haus zu gehen, um es zu stillen.
Als sie zurückkehrte, hatte sich das Gespräch im Garten anderen Themen zugewandt.
»Aber nicht doch, die Küste da oben ist völlig sicher!«, erklärte Kahlbach gerade.
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