Die Pestärztin
abzusehen, und die Nonnen wollen immer mehr Geld ...«
»Aber es kann doch nicht die Welt kosten, einen Kranken zu pflegen!«, meinte Lucia empört. »Sind die Schwestern nicht sogar dazu verpflichtet?«
»Sie sind aber nicht verpflichtet, über ihre Gäste zu schweigen. Und das lassen sie sich bezahlen. Ich geben ihnen zwei Mark an jedem Ersten.« Elisabeth trocknete sich die Augen. Sie beruhigte sich allmählich. Es tat ihr sichtlich gut, sich jemandem anzuvertrauen.
»Zwei Mark in Silber? Ein halbes Pfund in jeder Woche? Für eine Stube und ein paar Kerzen? Das ist Wucher, Herzogin! Ihr solltet das nicht zahlen!« Lucia empfand die gleiche flammende Wut, die sie eben ihrem Onkel entgegengeschleudert hatte. Das also waren die »Gerechten« dieser Welt - im Judenrat und im christlichen Klerus. Sie waren alle gleich!
»Aber sie haben gesehen, wie ich mit ihm umging, dass ich ihn küsste ... Herrgott, ich weiß, das ist eine Sünde, aber er tat mir so leid, er war so mutlos und schwach. Er braucht doch etwas, woran er sich halten, worauf er sich freuen kann.« Elisabeth begann wieder zu weinen.
»Ihr liebt ihn«, konstatierte Lucia und dachte an Clemens. Das letzte Bild von ihm, sein Gesicht am Fenster im Haus des jüdischen Arztes ... Wie gern hätte sie ihn da an sich gezogen, egal was man von ihr gedacht und was sie riskiert hätte.
»Das macht Euch natürlich angreifbar. Wir werden uns da etwas überlegen müssen. Aber zunächst einmal nehmt das hier ...« Lucia suchte in ihren Taschen und förderte einen Beutel Münzen hervor. Sie hatte vorgehabt, auf dem Rückweg von der Pfandleihe auf dem Gewürzmarkt einzukaufen. Die Kost bei den Levins war ein wenig fade; Zacharias machte sich nichts aus delikatem Essen, und Hannah war keine besonders gute Köchin. Lucia hatte beabsichtigt, den Speisezettel um ein paar Gerichte aus der Küche Al Shifas zu bereichern. Das bedeutete beträchtliche Geldausgaben. Gewürze waren teuer! Lucia fand jedoch, den Levins ein wenig Aufmerksamkeit schuldig zu sein, und hatte an diesem Morgen etwas von den zwanzig Mark Bargeld, die sie von ihrem investierten Vermögen zurückbehalten hatte, mit in die Pfandleihe genommen. Jetzt zählte sie sechzig Pfennige ab. Die Levins würden auch ohne Salz, Safran, Pfeffer und Nelken nicht hungers sterben!
Elisabeth dankte ihr tausend Mal, als die beiden Frauen schließlich zu Pferde den Stall verließen. »Ich werde es Euch wiedergeben, wenn ich weiteren Schmuck versetze! Wirklich, ich weiß nicht, wie ich es Euch danken soll, Frau ... man nennt Euch Lea, nicht wahr?«
Lucia nickte. »Ja. Man nennt mich Lea.«
Gegen Ende des Jahres, kurz vor dem Lichterfest Chanukka, hörte Lucia dann endlich wieder von Abraham von Kahlbach. In der Synagoge hieß es, sein Bruder habe eine Nachricht von ihm empfangen, doch Moses hielt sich zurück.
»Ja, mein Bruder ist wohlauf«, meinte er unbestimmt, als Lucia ihn gleich nach dem Gottesdienst begierig darauf ansprach. »Aber das wollen wir nicht am Sabbat besprechen. Kommt am Sonntag in mein Kontor ... oder nein, kommt zum Nachtmahl in mein Haus. Ihr, Frau Lea, und Euer Onkel. Dann werde ich Euch Näheres mitteilen.«
Lucia schwante sofort Böses. Warum wollte Reb Moses nicht am Sabbat über das Befinden seines Bruders sprechen? Zumal, wenn es Abraham gut ging? Die Erlebnisse eines Freundes oder Angehörigen auf Reisen waren kein verbotenes Thema. Nur wenn es um Geschäfte ging, griffen die Sabbat-Gesetze. Ging es also um Geschäfte? Lucia machte sich nichts vor: Sie interessierte sich kaum für Abrahams Wohlergehen. Der Verbleib ihres Geldes lag ihr weit mehr am Herzen.
So folgte sie Zacharias Levin mit ungutem Gefühl in das schmucke Stadthaus bei der Synagoge, das Moses von Kahlbach mit Frau und Kindern bewohnte. Sie griff auch kaum zu, als seine Gattin kalten Lammbraten und Wein auf den Tisch stellte.
»Also, was ist nun mit Abraham?«, fragte sie schließlich.
Eigentlich hatte sie warten wollen, bis Zacharias das Thema ansprach, aber Levin und Kahlbach schienen gleichermaßen entschlossen, um die Sache herumzureden.
Moses von Kahlbach atmete tief durch. »Wie ich Euch gestern schon sagte, Frau Lea, mein Bruder ist wohlauf. Allerdings wurde er auf seiner Reise nicht vom Glück begünstigt. Zunächst verlief alles gut. Er kam unbeschadet über die Alpen und konnte dort auch wertvolle Waren einhandeln ...«
»Aber?« Lucia saß wie auf Kohlen. Was wollte der Mann ihr wirklich mitteilen?
»Aber
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