Die Pestärztin
»Aber ich brauche das Geld! Bitte! Ich bin sicher, Ihr würdet bei dem Geschäft nichts verlieren!«
»Werde ich auch nicht«, meinte Levin mit Gemütsruhe. »Eine Mark und hundertachtzig Pfennige. Das ist mein letztes Gebot.«
Der Pfandleiher legte das Geld auf den Tisch.
Elisabeth nahm es zögernd. Dann verließ sie das Geschäft ohne Gruß.
Lucia konnte ihren Zorn kaum bezähmen.
»Warum behandelst du sie so, Onkel?«, fragte sie hart. »Du übervorteilst sie. Jedem anderen hättest du drei Mark für dieses Kleid gegeben. Ich bin sicher, du weißt schon, an wen du es weiter verkaufst!«
Levin lachte. »Ich gebe zu, ich habe einen Kleiderhändler im Auge«, bejahte er. »Es wäre Wahnsinn, die hübschen Klunker alle abzutrennen. Aber ich muss sehen, wo ich bleibe, Mädchen, ich kann der Frau nicht mehr geben, als sie verdient ...«
»Als sie verdient?«, fragte Lucia. »Gib zu, du willst sie strafen! Du missbilligst ihren Lebenswandel, dabei weißt du noch nicht mal, was sie wirklich tut!«
Levin blitzte sie an. »Hör zu, Mädchen, egal was in deinen Ritterromanen steht: Dies ist eine schlechte Frau! Eine Jezebel, eine Hure, die ihren Gatten hintergeht. Und dafür habe ich nun mal kein Verständnis, auch wenn sie das in Christenkreisen >höfische Liebe< nennen. Eine Frau hat ihrem Gatten treu zu sein, sie hat sich in ihr Schicksal zu fügen. Das ist bei den Christen nicht anders als bei uns. Die Mauren pflegen diese Kebsen sogar zu steinigen! Und genau das verdienen sie. Ich habe die Frau nicht eingeladen. Sie kommt freiwillig und bietet mir ihr Geschmeide an. Wenn sie nehmen will, was ich ihr biete, gut. Wenn nicht - es gibt andere Pfandleiher. Und nun nimm die Sachen für den Rabbi, und bring sie in die Synagoge. Oder soll ich selber gehen?«
Der Rabbi hatte ein paar Silberleuchter für eine arme Frau aus der Gemeinde ausgelöst. Ihr Gatte, ein eher kleiner Kaufmann, war von einer Handelsreise nicht zurückgekehrt. Nun versuchte sie, sich durch den Verkauf des Familiensilbers über Wasser zu halten. Den Rabbi dauerte das, und so hatte er in der Gemeinde für sie gesammelt.
Lucia dachte im Stillen, dass ihr Onkel hier auch einen Preisnachlass hätte gewähren können. Aber die Mildtätigkeit des Rabbi stieß bei ihm ebenso wenig auf Verständnis wie die offensichtliche Not seiner unbekannten Kundin. So großzügig und freundlich Zacharias Levin im Kreise seiner Familie war: Als Händler war er hart wie Stein. Immerhin hatte Lucia ihn bislang für absolut gerecht gehalten. Die Geschichte mit der Herzogin trübte dieses Bild.
Lucia war deshalb froh, die Pfandleihe verlassen zu können. Da es in Strömen regnete, hatte sie ihr Maultier in dem Mietstall um die Ecke untergestellt. Leas alter Reitmantel hielt sie halbwegs trocken, bis sie den Stall erreichte. Pia gab den seltsamen Laut von sich - teils Wiehern, teils Flöten, teils Röhren -, mit dem sie ihre Herrin zu begrüßen pflegte. Doch aus dem Stall neben ihr hörte Lucia ein Schluchzen.
Als sie über den Verschlag hinweg spähte, erblickte sie die Herzogin. Sie kauerte neben ihrem Pferd im Stroh und weinte herzzerreißend.
Lucia ging zu ihr. Sie musste die Frau beruhigen! Nicht auszudenken, dass die Reitknechte sie hier antrafen und womöglich erkannten. Der Stallmeister musste ohnehin etwas ahnen. Beim Turnier und manchmal bei Umzügen ritten Herzog und Herzogin durch die Stadt - und jeder Pferdekenner würde sich an die milchweiße Zelterin erinnern!
»Herrin, bitte, fasst Euch! Wem immer Ihr Geld schuldet, auf sechzig Pfennige wird es nicht ankommen! Versucht, Euren Gläubiger hinzuhalten. Oder handelt den Preis herunter, man hat Euch doch sicher übervorteilt!« Lucia kauerte sich neben die schluchzende Frau und legte ihr scheu die Hand auf die Schulter.
Die Herzogin lehnte sich an sie. Sie musste völlig am Ende sein, sich im Beisein einer Frau aus dem Volk, zumal einer Jüdin, so gehen zu lassen!
»Man handelt keinen Preis herunter, mit dem man sich Schweigen erkauft ...«, flüsterte sie. »Und sie sagen, es sei eine Sünde ... sie decken eine Sünderin ... sie müssten umso mehr beten und Kerzen ziehen, und das alles kostet nun mal so viel. Und sie würden ihn auch niemals auf die Straße werfen, natürlich nicht, nur meinem Gatten, dem müssten sie die Wahrheit sagen ... oder der Herzoginmutter, aber das ist das Gleiche. Sie sagt es doch sofort weiter, mit Freude sagt sie es weiter. Ich halte das nicht aus. Stephan würde mich
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