Die Pestärztin
nicht zur Terz, die zelebrieren die Nonnen allein. Es wird also niemand da sein, der Fragen stellt.«
Das Garwehaus, die Sakristei der Kirche, diente dem Priester zur Vorbereitung des Gottesdienstes. Der schlichte Raum war tatsächlich leer, als Elisabeth die Tür bei den ersten Klängen des Chorals öffnete. Er wies noch andere Eingänge auf - der eine führte zum Altarraum, durch den anderen lotste Elisabeth ihre Freundin ins Freie.
»Du willst Adrian doch immer noch sehen, oder?«, fragte sie beinahe ängstlich. »Ich habe von den Mädchen gehört, dass du große Kenntnisse der Heilpflanzen hast, vielleicht mehr als die Schwester Apothekerin. Wenn du ihm helfen könntest ...«
Lucia zuckte die Achseln. »Ich kann keine Wunder tun. Aber natürlich möchte ich ihn sehen. Ob die Zeit allerdings reicht ...«
»Wir müssen uns kurz fassen. Aber ich schleiche mich jedes Mal während der Messe hinaus. Ich weiß, wie lange wir bleiben können.«
Elisabeth verfolgte ihren Weg so zielstrebig, dass Lucia fast laufen musste.
Das Gästehaus des Klosters lag traditionell nahe der Pforte; der Betrieb sollte das Klosterleben so wenig wie möglich stören. Es war verhältnismäßig neu und sauber und neben dem Gemeinschaftsschlafsaal, in dem Reisende niederen Standes nächtigen konnten, gab es auch kleinere Räume für adlige Gäste. Es mochten sogar luxuriöse Unterkünfte darunter sein, doch das Gemach, dessen Tür Elisabeth jetzt nach kurzem Klopfen aufstieß, bot kaum mehr Komfort als eine Mönchszelle. Immerhin fiel von einem hohen Fenster aus Licht herein, sodass Lucia die schlichte Ausstattung gut erkennen konnte. Eine Truhe, an der jetzt eine fein geschmückte und mit Bändern verzierte Laute lehnte, ein kleiner Tisch, ein Stuhl. Unter dem Fenster eine Pritsche, auf der ein Mann mehr lag als saß. Er versuchte sich allerdings aufzurichten, als die Frauen eintraten.
»Elisabeth ...« Lucia erinnerte sich an die singende Stimme mit dem weichen Akzent. »Warum wartest du nicht, bis ich dich hereinbitte?«
»Weil du sonst darauf bestehst, dich fein anzuziehen und herzurichten und aufzustehen und mich an der Tür willkommen zu heißen! Das alles strengt dich unnötig an und kostet nur Zeit. Wie geht es dir ... Liebster?«
Adrian von Rennes trug nur sein Untergewand über den Beinlingen. Ein brokatener Überwurf lag auf dem Stuhl neben dem Bett. Der Ritter wollte danach greifen, als er Elisabeth sah, und erst recht die zweite Besucherin. Zudem ließ er sich nicht daran hindern, sich aufzurichten und Elisabeths Hand zu küssen. Vor Lucia verbeugte er sich höflich.
Lucia versuchte, ihr Erschrecken zu verbergen, als sie ihn sah. Bei ihrer ersten Begegnung war Adrian von Rennes ein großer, kräftiger Mann gewesen. Lucia erinnerte sich noch an das Spiel seiner Muskeln unter dem leichten Reitmantel, an sein wohlgeformtes Gesicht, sein üppiges Haar und seine stolze Haltung.
Jetzt schaffte der Ritter es kaum, sich aufrecht zu halten. Er war abgemagert, sein Gesicht knochig und von Schmerz gezeichnet. Den rechten Arm hielt er fest an die Brust gedrückt; wahrscheinlich untersagte ihm nur sein Stolz, ihn in einer Schlinge zu tragen. Sein langes Haar hatte er im Nacken mit einer Spange zusammengefasst. Es wirkte ungepflegt; mit der linken Hand vermochte er wohl nicht, es ordentlich zu kämmen.
Der Ritter schien das zu wissen und schämte sich dafür. Er versuchte, die Haarpracht notdürftig zu glätten, indem er mit den Fingern der gesunden Hand hindurchfuhr. Gleichzeitig bemühte er sich um ein Lächeln. Und auch wenn es in seinem abgezehrten Gesicht eher schief wirkte, war es doch das erste warme und ehrliche Lächeln, das Lucia an diesem Tag zuteil wurde. Adrian von Rennes mochte krank sein, doch seine Augen leuchteten immer noch in ihrem seltsamen Goldbraun, und wieder fühlte Lucia sich an Clemens erinnert. Auch in Adrians Blick standen Sanftmut und tiefe Liebe. Nur dass sie diesmal nicht Lucia galt, sondern Elisabeth von Bayern.
»Es ist durchaus nötig und schicklich, dass ein Ritter gepflegt und gut gekleidet vor seine Dame tritt!«, sagte er jetzt. »Schmerzen und Verwundung sollten ihn nicht schwächen, wenn er so viel Schönheit gewahr wird. Euer Anblick allein, Frau Elisabeth, sollte mich stärken! Zumal Ihr diesmal nicht allein kommt, sondern mit einem leibhaftigen Engel. So blond und leuchtend wie Ihr, meine Dame, erscheinen mir die Erzengel im Traum ...«
Herr Adrian wandte sich an Lucia.
Die jedoch konnte
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