Die Pestärztin
das so nicht sagen, doch mit Euren Sünden hat es ganz sicher nichts zu tun. Die Wunde heilt von außen ab, wenn sie behandelt wird. Aber innen arbeitet etwas und lässt sie immer wieder aufbrechen.«
»Also werde ich daran sterben?«, fragte Adrian gefasst. Es mochte für ihn nicht der schlimmste Gedanke sein. Das monatelange Siechtum in der Klosterzelle zerrte sicher an seinen Nerven und seinem Selbstverständnis als unbesiegbarer Ritter.
Lucia zuckte die Schultern. »Das weiß ich nicht, Herr Adrian. Mitunter leben Menschen viele Jahre mit einer Pfeilspitze im Körper. Wenn der Splitter sich verkapselt, könntet Ihr beschwerdefrei leben. Vielleicht eitert er mit der Zeit auch heraus, und Ihr seid ihn los. Aber selbst wenn Ihr sterben solltet, so bestimmt nicht schnell, sondern erst nach langem Siechtum.«
Lucia sah ihren Patienten nicht an, als sie die letzte, schlimmste Möglichkeit nannte. Das leichte Fieber und die entzündete Schulter würden den Ritter nicht töten. Er konnte noch jahrelang krank in dieser Zelle liegen, ehe sein Körper irgendwann aufgab und vielleicht einer banalen Erkältungskrankheit nichts mehr entgegenzusetzen hatte.
»Aber man muss doch etwas tun können!«, flüsterte Elisabeth.
Lucia biss auf ihrer Lippe herum wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte.
»Das Beste wäre, den Splitter herauszuschneiden. Aber da man nicht wüsste, wo man suchen muss, würde man Herrn Adrian schlimme Schmerzen und noch größere Verletzungen zufügen. Wahrscheinlich würde er es nicht überleben ...«
»Alles ist besser als jahrelanges Siechtum!«, sagte Adrian entschlossen.
Lucia schüttelte den Kopf. »Ich würde eine solche Operation trotzdem nicht wagen. Was tut denn die Schwester Apothekerin für die Wunde?«
»Sie macht Kompressen mit Kamillensud und streicht eine Heilsalbe aus Ringelblumen und Schmalz auf«, gab Elisabeth Auskunft. »Ist das nicht richtig?«
Lucia zuckte die Schultern. »Für die Wundbehandlung ist es nicht ganz verkehrt, obwohl ich Kompressen mit altem Wein bevorzugen würde. Das hilft besser gegen die Entzündung, zumal Kamillensud oft verunreinigt ist und eine offene Wunde dann eher reizt als heilt. Eichenrindensud ist besser. Eichenrinde würde ich auch als Tee verordnen, gegen das Fieber. Und Ginseng, um den Körper zu stärken ...«
»Ginseng?«, fragte der Ritter.
»Ein eher orientalisches Gewächs«, erklärte Elisabeth. Vermutlich kannte sie die Pflanze aus Sizilien.
»Ansonsten könnte eher eine Zugsalbe angebracht sein als eine Wundsalbe. Senfumschläge brennen allerdings sehr, also würde ich sie vorerst nicht anwenden. Das Beste wäre, die Wunde zwar offen zu halten oder die Heilung zumindest nicht künstlich zu beschleunigen, dabei aber die Entzündung zu hemmen. Vielleicht könnte man den Splitter ja dann in der Wunde ausmachen ...«
»Ich höre immer nur >könnte< und >vielleicht<«, murrte der Ritter. »Wisst Ihr denn nichts sicher, Herrin?«
Lucia schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht in Euch hineinsehen, Herr Adrian. Das kann nur Gott. Und Gott ist auch der Einzige, der Wunder wirken kann. Wir Menschen können nur hoffen und um Wissen ringen. Gott macht es uns nicht leicht; er lässt uns die Lösungen für die Rätsel auf seiner Welt selber finden.«
»Du schreibst mir auf, was du versuchen würdest, und das bestelle ich dann der Schwester Apothekerin«, erklärte Elisabeth. »Sie wird nicht begeistert sein, wenn ich ihr vorschreibe, was sie tun soll, aber das ist mir egal. Ich zahle genug, um Sonderwünsche äußern zu dürfen. Beim nächsten Mal wirst du dir die Wunde dann wieder ansehen, Lucia, nicht wahr?«
Lucia nickte und deutete eine Verbeugung an. »Wenn der Herr von Rennes es mir gestattet ...«
Adrian nickte, und wieder lag das sanfte Lächeln in seinen goldenen Augen. »Verzeiht, wenn ich unhöflich war. Aber das alles ... die Wunde zehrt an meinen Kräften. Und meine Lage hier und Elisabeths Lage auf Burg Landshut zehren an meiner Geduld. Wenn Ihr irgendetwas tun könnt, dann tut es, auch wenn der Versuch mich das Leben kostet! Ich bin nicht feige, ich würde den Schmerz wohl ertragen!«
Lucia nickte, doch sie sah die Gesichter der Pestkranken vor sich, die es nicht überlebt hatten, wenn Clemens ihre Pestbeulen öffnete. Dabei war es nur ein oberflächlicher Schnitt in die gespannte, entzündete Haut gewesen. Und Clemens hatte speziell geschärfte Messer benutzt. Nicht auszudenken, wenn sie, Lucia, ihren kleinen Dolch in Adrians
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