Die Pestärztin
gut aus. Die Freude auf die Hochzeit ließ sie strahlen, und ihr dunkelblauer Mantel, der vorn mit silbernen Fibeln verziert war und von einer roten Kordel gehalten wurde, stand ihr sehr gut. Die satte, dunkle Farbe gab ihren porzellanblauen Augen Tiefe. Lucia erkannte das Tuch, das sie bei jenem Ausflug in die Lagerhäuser für die Freundin ausgewählt hatte.
Lea kicherte verschämt. »Natürlich nicht, was denkst du! Aber ich sehe ihn ja in der Synagoge. Und er hat David ein Briefchen für mich mitgegeben. Ganz heimlich. Meine Mutter würde Zustände kriegen! Aber er liebt mich, Lucia! Bestimmt liebt er mich! Ich hab auch schon Al Shifa gebeten, mir etwas von diesen Künsten zu verraten, diesen Liebeskünsten, die sie im Harem gelernt hat. Aber sie gibt sich zugeknöpft. Dabei würde ich Juda so gern überraschen. Mit einem Schleiertanz zum Beispiel!« Lea drapierte die Leinentischdecke, an der Lucia gerade herumgestichelt hatte, um ihre Hüften und tat, als entkleide sie sich mit schlangengleichen Bewegungen zu orientalischer Musik.
Lucia musste lachen.
»Hör auf, um Gottes willen! Wenn die Meisterin hereinkommt! Du musst ernster werden, Lea! Du bist bald eine verheiratete Frau!«
»Dann kann ich immer noch Trübsal blasen. Aber jetzt du, Lucia! Was ist zwischen dir und David? Nein, leugnen ist zwecklos. Ich seh doch, wie er erst rot, dann blass wird, sobald dein Name fällt! Und gestern habt ihr euch gesehen! Ist es wahr, dass er dich geküsst hat?«
Lucia errötete. »Du darfst das niemandem sagen«, bemerkte sie steif.
Lea verdrehte die Augen. »Natürlich nicht! Das ist doch ein Geheimnis! Eine verbotene Liebe, wie in den Märchen von Al Shifa! Und ich helfe euch natürlich, Lucia! Falls er mit dir fliehen will oder so ...«
In wenigen Minuten entwarf sie das farbige Bild einer verfolgten Liebe und unterhielt ihre Freundin damit hervorragend. Lucia hatte sich lange nicht mehr so gut amüsiert, obwohl sie über Leas kindische Ideen nur den Kopf schütteln konnte. Aber sie genoss ihre Besuche, die sich von nun an häufig wiederholten. Lea brachte irgendwelche Näharbeiten vorbei, oder sie wartete unten in der Nische beim Hinterhaus. Dort steckte sie Lucia auch oft einen Krapfen oder eine andere kleine Leckerei aus der Küche der Speyers zu.
»Du fällst sonst ganz vom Fleisch, bei dem miesen Essen hier. Oder ist das Sehnsucht, Lucia? Oh ja, sag, dass du dich nach David verzehrst! Ihm geht es übrigens auch so! Wenn wir allein sind, redet er nur von dir!«
Mitunter kam David auch selbst, wobei Lea verriet, dass er tagtäglich in der Mauernische auf Lucia wartete. Allerdings trafen sie nur selten zusammen. Meister Friedrich gestattete Lucia höchstens einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag, den Abtritt aufzusuchen, und David konnte auch nicht stundenlang von seiner Arbeit wegbleiben. Wenn es allerdings glückte, verlief das Zusammensein der beiden ähnlich scheu und verhalten wie beim ersten Mal. David sprach ein paar artige Worte, die manchmal klangen, als hätte er sie aus einem französischen Ritterroman oder aus Al Shifas maurischen Märchen. Lucia konterte linkisch und unsicher, genoss aber das warme Gefühl, wenn David ehrfürchtig über ihr Haar streichelte, beinahe ängstlich die Konturen ihres Halses nachzog und einmal, mutig geworden, die steile Falte zwischen ihren Augen zu glätten versuchte.
»Schau doch nicht immer so ernst, Lucia! Du sagst mir, du bist gern bei mir, aber in deinen Augen sehe ich Furcht.«
Lucia zwang sich zu einem Lächeln.
»Ich bin sehr gern bei dir, David. Aber du musst doch auch sehen, wie riskant es ist, sich hier zu treffen. Wenn es irgendeine andere Möglichkeit gäbe ...«
David strahlte sie an, als habe er ein Geschenk für sie. »Am Sabbatabend kommst du zu uns zum Essen!«, erklärte er fröhlich. »Nein, keine Widerrede, Lea hat unsere Eltern gefragt, und sie sind einverstanden. Es wird Zeit, dich mal einzuladen, du bist schließlich nicht im Streit gegangen ...«
Tatsächlich war der Einladung eine heftige Auseinandersetzung zwischen Lea und ihrer Mutter vorausgegangen. Aber schließlich hatte Benjamin vermittelt. Lucia konnte ohnehin erst nach der Vesper kommen, und dann würden die Juden den Sabbat bereits begrüßt haben. Al Shifa oder der Hausdiener konnte dem Mädchen die Tür öffnen - wieder etwas, das den Juden am Sabbat verboten war -, und dann würden sie einfach ein bisschen plaudern, während Lucia sich mal richtig satt aß. Lucia sah
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