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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Sonst kämen ihm solche Pläne nicht in den Sinn. Willst du es denn wirklich tun, Lucia? Willst du ihn ermutigen, für dich seinen Glauben aufzugeben?«
    »Ich brauche ihn da nicht zu ermutigen!«, fuhr Lucia auf. »Es war nicht mein Einfall. Im Gegenteil, ich habe versucht, es ihm auszureden. Aber was kann ich tun? Was soll ich tun? Ich mag ihn auch, und für mich wäre eine Ehe mit ihm ...«
    »Ein Ausweg, ich weiß«, sagte Al Shifa leise. »Ich will dir deshalb auch nicht abraten, Kind. Aber die Liebe führt uns nicht immer auf den richtigen Weg, und meist ist sie die Gefahr nicht wert, die wir für sie auf uns nehmen. Wie gesagt, ich habe dir nicht meine ganze Geschichte erzählt. Willst du sie jetzt hören, Tochter?«
    Lucia nickte.
    Al Shifa warf einen forschenden Blick über die nach wie vor fast völlig leere Kirche. Nur wenige, stille Gläubige knieten in anderen Kapellen oder in den Bänken nahe dem Altar.
    »Also gut«, begann die Maurin. »Du weißt bereits von der Zeit, in der ich im Harem lebte. Ein Geschenk, das nicht gefiel, aber nichtsdestotrotz wertvoll war. Der Emir erinnerte sich daran, als Gesandte aus Kastilien in seinen Palast kamen. Wie so oft mit unverschämten Vorstellungen und Forderungen. Ihr Wortführer war der Bischof von Toledo, ein bigotter, unnachgiebiger Mann, der nur eine Schwäche hatte: Es fiel ihm schwer, sich an das Gebot der Keuschheit zu halten. Nun ging es um irgendwelche diplomatischen Verwicklungen, einen Friedensschluss oder ein Bündnis, das dem Emir wichtig war. Der Bischof forderte dafür die Herausgabe irgendeiner Reliquie. Du weißt es ja, die Christen sammeln die Knochen ihrer Heiligen, Splitter von Kreuzen - all diese Dinge. Diesmal ging es um den Zeigefinger irgendeines Märtyrers. Und das Knöchelchen wurde gehegt und gehütet von einer der wichtigsten christlichen Gemeinden von Granada. Denen hätte man es natürlich entreißen können. Aber das hätte böses Blut gegeben, und der Emir wollte Ruhe im Reich. So erhielt der Bischof stattdessen ein anderes Geschenk. Fast ebenso wertvoll, aber nicht für die ganze Gemeinde gedacht. Dafür garantierte es sein Schweigen ...« Al Shifa senkte den Kopf.
    »Dich?«, fragte Lucia tonlos. »Man hat dem Bischof ein Mädchen zum Geschenk gemacht?«
    Al Shifa nickte. »Das kommt häufiger vor, als du denkst. Ich sagte dir schon, dass die Herrin Farah uns in den Sprachen der Christen unterweisen ließ.«
    »Aber ... aber Geistliche ...«
    »Tochter, muss ich gerade dir sagen, dass sie auch nur Männer sind?«
    Lucia wurde plötzlich klar, warum Al Shifa so besorgt über ihr Verhältnis zum Pfarrer von St. Quintin gewesen war.
    »Und wie war es?«, fragte sie heiser. »Wie war er?«
    Al Shifa zuckte die Schultern. »Wie soll er gewesen sein? In den Klöstern der Christen wird die Kunst der fleischlichen Liebe bekanntlich nicht gelehrt. Dafür züchtet man ein schlechtes Gewissen, was der Sache auch nicht zuträglich ist. Mein Bischof war lieblos, brutal, aber schnell. Es war nicht allzu belastend, ihm zu Willen zu sein. Schlimmer als die Nächte waren die Tage.«
    »Wie ging das überhaupt?«, erkundigte sich Lucia. »Hat er dich mit nach Toledo genommen? Ganz offen? War ihm das nicht verboten?«
    Al Shifa lachte rau. »Natürlich war es ihm verboten. Aber auch der Erzbischof von Mainz hat eine Magd im Haus - vielleicht auch mehrere. Andere Geistliche lassen sich von Nonnen aufwarten. Und selbst der kleine Pfaffe von Sankt Quintin ließ sich ein Mädchen zur privaten Unterweisung kommen. Die Kirche hat strenge Regeln, Lucia, aber sie hat es versäumt, ihre Priester in einem Harem zu sammeln.«
    Lucia musste über die Idee eines Harems voller Geistlicher fast lachen. Aber für Al Shifa musste das Leben mit dem Bischof die Hölle gewesen sein.
    »Ich diente ihm also im Haushalt. Das Einzige, worauf die Herrin Farah uns nicht vorbereitet hatte. Ich konnte Latein und Griechisch besser als mein Herr! Aber Aufwischen, Kochen und Waschen hatte ich nie gelernt. Dazu demütigten mich der Spott und die Neugier der Christenweiber auf den Märkten. Die ahnten doch, was vor sich ging. Allein die Blicke, die mich in der Kirche trafen! Mein Herr bestand darauf, dass ich mich taufen ließe und brav jeden Tag den Gottesdienst besuchte. Ich hatte bald Schwielen an den Knien von den harten Kirchenbänken. Obendrein war ich nach kurzer Zeit schwanger, was ich natürlich verbergen musste. Die ersten zwei Kinder verlor ich, wohl durch die fest

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