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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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sehen, die gar nicht so unschuldig waren, wie es schien. Insofern zog sie sich auch nicht gleich in ihre Kammer zurück, als Lucia schließlich ging, sondern wartete im Stall. Ihre Geduld wurde gleich darauf belohnt. Kurz nachdem Lucia das Haus durch die Vordertür verlassen hatte, schlich David sich durch die Küchentür hinaus, Leas Schultertuch und eine Laterne in der Hand.
    Zutiefst beunruhig folgte ihm Al Shifa durch die nächtlichen Straßen - und was sie schließlich beobachtete, ließ sie alle Vorsätze vergessen, die sie in den dunkelsten Stunden ihres Lebens gefasst hatte!

8
 
    D ie alte Frau ging gebeugt und unsicher. Sie war schwarz gekleidet und hatte eine weite Kapuze über ihr Haar und ihr Gesicht gezogen. Lucia wunderte sich, warum sie gerade ihre Kirchenbank ansteuerte. Sie hatte das Weib bislang nie in St. Quintin gesehen. Nun aber ließ es sich neben ihr nieder, während die Schraderin sorglich von ihm abrückte. Lucia versuchte das auch, aber die Alte schob sich immer näher an sie heran. Dabei hörte sie nicht auf, Gebete zu murmeln und sich zu bekreuzigen. Und dann stieß sie Lucia verstohlen an, als alle Gläubigen tief in der Andacht versunken waren, während der Priester vorn die Wandlung vollzog.
    Lucia fuhr zusammen, vernahm dann aber eine vertraute Stimme.
    »Nicht erschrecken, Tochter! Ich muss mit dir reden. Bleib nach der Messe hier, und such dir eine Kapelle, um zu beten - das sind deine Lehrherren ja wohl von dir gewöhnt! Ich komme dann zu dir.«
    Lucias Augen weiteten sich, als sie Al Shifa erkannte. Doch sie behielt sich gut in der Gewalt. Die letzten Monate hatten sie mit Heimlichkeiten jeder Art vertraut gemacht. Was Al Shifa hier trieb, war jedoch äußerst gefährlich. Zumal die Maurin sich auch nicht scheute, Lucia und der Meisterin zum Altar zu folgen und die Kommunion entgegenzunehmen. Danach verzog sie sich in eine andere Bank.
    »Komische Alte!«, meinte die Schraderin, als die Messe zu Ende ging. »Und mir dir stimmt auch etwas nicht, Lucia! Frömmigkeit ist ja gut und schön, aber jeden Sonntag nur beten und fasten ... Du wirst noch eine Heilige!«
    Lucia lächelte verschämt. »Ich bete für meine verstorbene Frau Mutter«, erklärte sie mit züchtig niedergeschlagenem Blick. »Die Küferin hat mir enthüllt, dass sie wohl doch eine Sünderin war - obwohl sie der jüdischen Hebamme gegenüber anderes beteuerte. Doch wie auch immer, sie kann Fürbitten sicher brauchen. Es ist mir schrecklich, sie im Fegefeuer zu wähnen!«
    Die Meisterin nickte verständnisvoll. »Also gut, Kind, wir sehen uns dann später. Ich ... äh, werde dir dein Essen aufheben.«
    Das war äußerst großmütig, und die Schraderin tat es durchaus nicht immer. Lucia dankte ihr demütig. Dann kniete sie gespannt in der Marienkapelle nieder. Als die Kirche sich geleert hatte, gesellte Al Shifa sich zu ihr.
    »Hast du mich wirklich nicht gleich erkannt?«, fragte sie belustigt, nachdem sie den Schleier ein bisschen zurückgeschlagen hatte. »Bei Allah, mein Rücken schmerzt. Eine Bucklige zu geben muss nicht leicht sein. Ich sollte den betrügerischen Bettlern am Heumarkt doch öfter was zustecken. Aber nun zu dir, Tochter ...«
    »Nein, zu dir, Al Shifa!«, raunte Lucia besorgt. »Was machst du hier? Nicht auszudenken, wenn der Pfarrer dich entdeckt! Es ist doch sicher Ketzerei, wenn eine Muselmanin in einer christlichen Kirche betet!«
    Al Shifa lachte leise. »Für deinen Pfaffen bin ich keine Muslima. Natürlich würde ich es nicht gern zugeben, denn dann müsste ich das Haus der Speyers verlassen. Aber unter uns, Tochter, ich bin getauft. Ich habe das gleiche Recht, hier zu sein, wie du und deine bigotte Meisterin.«
    Lucia war verblüfft, zumal Al Shifa nie einen Hehl aus ihrem Abscheu vor der christlichen Religion gemacht hatte. Al Shifa schien Lucias Gedanken zu lesen.
    »Ja, ich habe dir nicht die ganze Geschichte erzählt ... «, meinte die Maurin sinnend. »Aber jetzt rede zuerst einmal du! Ist es wahr, was Lea plappert? David von Speyer will mit dir auf und davon?«
    Lucia errötete zutiefst. »Lea hat das erzählt?«
    »Unter hochnotpeinlicher Befragung!«, bemerkte Al Shifa grimmig. »Ich habe die ärgsten Drohungen ausgestoßen, Allah möge mir verzeihen. Aber nachdem ich David und dich am Sabbat gesehen habe ... Was denkst du dir nur, Kind? Liebst du ihn?«
    Lucia zuckte die Schultern. »Ich glaub schon. Und er liebt mich ...«
    Al Shifa nickte. »Oh ja, er liebt dich bis zum Wahnsinn.

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