Die Pestärztin
dir die Arbeit hier, oder wärest du nicht lieber Hausmagd?«
Lucia wusste nicht, warum sie sich dieser Frau anvertraute, doch Agnes Wormserin wirkte so freundlich und liebenswert, dass es einfach aus ihr herausbrach. »Am liebsten, Herrin, wäre ich Hebamme, aber ich bin ein Findelkind, niemand wollte mich in Dienst nehmen. Dazu werden hässliche Dinge über mich erzählt, nicht erst, seit ich Schankmagd bin. Der Meister Heribert hat mich aufgenommen und mir Arbeit gegeben. Dafür bin ich dankbar.«
Agnes lächelte. »Das ehrt dich, Kind, aber du müsstest ja nicht im Zorn gehen. Schau, Lucia, du hast gestern meinen Mann bedient, als er hier mit dem Meister Hermann speiste, und du weißt, dass man auch über uns hässliche Dinge erzählt. Keine Frau will sich als Magd bei uns verdingen, aus abergläubischer Furcht vor dem Beelzebub. Nun meinte mein Gatte, deiner Rede entnehmen zu können, dass du nicht gar so furchtsam bist. Wenn du also bereit wärst, für uns zu arbeiten, so sollte es dein Schaden nicht sein. Und auch nicht der des Meisters Heribert. Wenn der eine Ablöse will, damit er dich ziehen lässt, so wollen wir gern ein paar Kupferpfennig zahlen.«
Lucia sah die junge Frau an und konnte ihr Glück kaum fassen. Endlich eine Möglichkeit, die Schenke zu verlassen, in einem ruhigen Haus zu arbeiten - und vielleicht sogar zu wohnen! Agnes' nächste Worte nahmen ihre Frage vorweg.
»Wir bieten dir auch einen ordentlichen Lohn und eine Kammer für dich allein. Allerdings gibt es viel Arbeit, es ist ein großes Haus. Du müsstest dich um die Küche kümmern und auch ein bisschen um die Kinder ... wir haben zurzeit überhaupt keine Hilfe.«
Lucia strahlte sie an. »Herrin, hier in der Schenke habe ich auch kaum Hilfe. Ich bin stärker, als Ihr glaubt, und ich komme gern zu Euch. Ich kann Euch auch beistehen, wenn Eure Stunde kommt. Und Euren Sohn kann ich Lesen und Schreiben lehren ...«
Da hatte sie sich verplappert, und Agnes Wormserin blickte sie verwundert an, ging aber nicht näher darauf ein. Es war ihr offenbar völlig gleichgültig, über welche seltsamen Fähigkeiten ihre neue Magd verfügte - Hauptsache, sie glaubte nicht daran, in ihrem Haus vom Teufel geholt zu werden.
»Dann werde ich meinen Gatten bitten, heute Abend bei Meister Heribert vorzusprechen«, sagte Agnes freundlich. »Ich bin sicher, sie werden sich einigen.«
2
M eister Heribert ließ Lucia ohne Ablöse, dafür mit allen guten Wünschen ziehen. Er war wirklich ein ehrenhafter Mann, und Lucia dankte ihm mit bewegten Worten. Dann zog sie voller Freude ins Stadthaus der Wormsers, ein gediegener Bau mit steinernem Fundament und Fachwerk im Obergeschoss. Die Wormsers lebten in der Augustinergasse, nahe beim Kloster. Die Straße lag vom Judenviertel aus gesehen auf der anderen Seite des Doms; Lucia brauchte also nicht zu befürchten, auf dem Markt oder in nahen Läden mit Lea oder Sarah Speyer zusammenzutreffen. Andererseits würde sie Al Shifa nicht zufällig begegnen. Sie würde einem Küfer-Kind einen Pfennig geben müssen, um die Maurin vom Wechsel ihrer Arbeitsstelle zu unterrichten.
Meister Wormser hatte seine weiträumige, wohl aufgeräumte Werkstatt im unteren Bereich des Hauses, und hier lagen auch die Dienstbotenquartiere. Lucia fand eine saubere, behagliche Kammer vor. Die Wormserin stellte ihr sogar eine hübsch geschnitzte Truhe zur Verfügung - und zu ihrer Überraschung fand sie ein fast neues Kleid darin vor.
»Ich werde in der nächsten Zeit doch nicht hineinpassen«, meinte Agnes mit verschämtem Lächeln. »Und wenn das Kind geboren ist, wird das Kleid aus der Mode sein. Du aber brauchst etwas Neues, deine Sachen sind doch alle abgetragen und hässlich.«
Lucia probierte das Kleid gleich an. Es war weit geschnitten und passte insofern sehr gut, obwohl sie etwas fraulichere Formen aufwies als die kindlich schmale Agnes. Vor allem aber hatte sie endlich wieder das Gefühl, sich sauber und ordentlich unter ehrbaren Leuten zu bewegen! Dazu trug natürlich auch das Wissen bei, nie wieder zurück in die Bude der Küferin zu müssen! Wenn Lucia sich im Hause der Wormsers bewährte, würde Agnes sie jahrelang behalten.
Natürlich gab es viel Arbeit im Haus des Schreiners, zumal Lucia zumindest am Anfang alles allein machen musste. Die Wormserin war zwar freundlich und hilfsbereit, aber zart und anfällig. Gerade jetzt in der Schwangerschaft fühlte sie sich häufig krank und war entzückt, wenn Lucia dann ein
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