Die Pestärztin
an den letzten Wochen der Schwangerschaft, trotz aller Stärkungsmittel, die Lucia braute, und all der Leckereien, mit denen das Mädchen sie verwöhnte.
»Aber seltsam ist es doch«, bemerkte Lucia. Sie hatte zunächst das Essen aufgetragen, aber jetzt setzte sie sich zu der Familie und nahm sich auch etwas von dem Eintopf, den sie mit Trudchens Hilfe zubereitet hatte. Trudchen saß schon längst am Tisch; sie war immer die Erste, wenn es etwas zwischen die Zähne gab.
Meister Wormser runzelte die Stirn.
»Wieso findest du das merkwürdig?«, fragte er seine Magd und nahm einen Löffel Suppe. »Beim letzten Mal hast du dem Klingenberger und mir noch ausführlich dargelegt, wie unsere Berta wohl verschieden ist und dass der Teufel keinen Anteil daran hatte ...«
Lucia nickte. »Aber ich habe damals schon gesagt, dass ein solcher Tod selten ist«, schränkte sie dann ein. »Und ich habe Eure Magd auch nicht gekannt, ich konnte nur aus dem schließen, was Ihr mir erzähltet. Die Schraderin dagegen kannte ich. Und die war nicht schwindsüchtig! Die Schraderin war eine starke Frau, nicht feist, aber kräftig, und ich hab sie nicht einmal husten hören, solange ich in ihrem Haus war.«
»Was willst du damit sagen?«, erkundigte sich Wormser misstrauisch. »Dass doch der Teufel im Spiel ist?«
»Jedenfalls war es nicht die galoppierende Schwindsucht«, meinte Lucia. »Sie muss an etwas anderem gestorben sein, und wenn ich jetzt an diese Beulen denke, dann ... dann wird mir himmelangst. Einmal kann so was Zufall sein, aber ...«
Wormser sah sie forschend an. »Woran denkst du, Mädchen? Heraus damit! Wenn du etwas weißt ...«
»Sie denkt an die Pest«, sagte Agnes mit schmalen Lippen und legte beschützend den Arm um ihren Sohn. »Bitten wir Gott, dass diese Furcht sich nicht bewahrheitet! Und wenn doch, dass zumindest unsere Berta nicht die Erste war.«
Johann Wormser schaute irritiert. »Du meinst, sonst kommt das Gerede mit dem Satan womöglich doch wieder auf?«
Agnes schüttelte den Kopf. »Nein. Nur haben wir dann vielleicht wirklich den Teufel im Haus!«
Lucia zwang Trudchen, das ganze Haus der Wormsers einer außerordentlichen, gründlichen Reinigung zu unterziehen, und verbrannte dann Weihrauch in allen Räumen. Dabei putzte sie ihre Kammer besonders sorgfältig - hier war die Berta schließlich gestorben. Aber das war Wochen her. Lucia hoffte, dass die Krankheit sich nicht so lange in einem Haus einnistete, um dann plötzlich wieder auszubrechen. Dem Wenigen zufolge, das Ar-Rasi über die Pest schrieb, verbreitete sie sich schneller. Lucia sehnte sich danach, die entsprechenden Kapitel in Ibn Sinas Kanon nachzulesen. Der »Arzt der Ärzte« hatte den Seuchen ein ausführliches Kapitel gewidmet. Aber der Kodex lag wohl verschlossen in Benjamin Speyers Bibliothek, gänzlich außer Reichweite der jungen Magd.
Lucias und Agnes' Verdacht erhärtete sich jedoch, als der Pfarrer am nächsten Sonntag sowohl eine Totenmesse für Irmtrud Schrader als auch für ihren Gatten ankündigte. Der Schneider war ihr drei Tage nach ihrem Tod ins Jenseits gefolgt, und der Lehrjunge sowie ein fahrender Geselle, der gerade in seinem Haus weilte, lagen krank danieder. Auch sonst gab es mehr Todesfälle als üblich in der Gemeinde St. Quintin, und in den folgenden Tagen war immer öfter von Fieber und Beulen die Rede. Man hörte jetzt auch manchmal das Wort »Pest«. Nicht laut ausgesprochen, sondern nur gewispert; die Menschen schienen sich allein vor der Macht des Wortes zu fürchten.
Am folgenden Sonntag war die Sache aber nicht mehr wegzuleugnen. Der Pfarrer verkündete den Tod von sechsundzwanzig Gemeindemitgliedern und rief zu einer Bittprozession auf. Auch der Magistrat von Mainz zeigte erste Reaktionen. Die Toten seien sofort zu beerdigen, wurde von den Kanzeln verkündet; der Bischof fordere die Gläubigen auf, mehr und inniger zu beten.
»Wir sollten der Prozession lieber fernbleiben«, merkte Lucia Agnes gegenüber schüchtern an. Die Schwangere fühlte sich im Grunde zu schwach, um bei dem stundenlangen Marsch durch die Stadt mitzuhalten, wollte sich aber nicht ausschließen. Schließlich war sie schon einmal Zielscheibe der bissigen Predigten des Pfarrers geworden.
»Es gibt Hinweise darauf, dass die Krankheit sich von einem Menschen auf den anderen überträgt. Durch den Atem, oder wenn einer dem anderen nahe kommt; so genau weiß man das nicht. Aber viele Leute in den Straßen, und dann noch bei dieser
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