Die Pestärztin
heran!«
Lucia richtete für Clemens ein Lager im Stall. Sie selbst gedachte, in ihrer Mägdekammer zu bleiben, auch wenn das Haus sich nun in ein Hospital verwandelte. Für Lucia war der Gedanke an ein Krankenhaus nicht neu; Al Shifa hatte ihr oft von den berühmten Krankenhäusern im Orient erzählt, und auch die jüdischen Reisenden hatten mitunter die Dienste einer solchen Klinik in Anspruch genommen. Clemens lauschte ihren Vorstellungen hier eher mit Verwunderung. Bislang waren ihm Krankenhäuser nur in Form von Pesthäusern und Verwahranstalten für Sterbende begegnet. Die letzte Ölung durch die Mönche und Priester war hier meist die einzige Behandlung, welche die Kranken erhielten.
Lucia dagegen träumte von einem angenehmen Ort der Pflege und Genesung; sie freute sich fast auf die vor ihr liegende Aufgabe, die Kranken zu betreuen. Doch ehe sie einschlief, dachte sie auch an den Kanon des Ibn Sina. Clemens hatte recht: Da ruhte ein Schatz medizinischen Wissens in einer Bibliothek, in der er niemandem von Nutzen war. Bislang konnte Al Shifa ihn noch lesen, nach ihrem Tod aber würde es nur noch eine wertvolle Handschrift sein und nichts Hilfreiches. Und es war ungerecht! Der Kodex hatte Al Shifa gehört! Und die hätte ihn gern an Lucia weitergegeben, nicht an Esra und David, die kein Wort Arabisch konnten!
Ein wenig trunken, wie sie war, machte Lucia abenteuerliche Pläne, den Kodex zu entwenden. Gemeinsam mit Clemens.
Es war schön, sich vorzustellen, etwas gemeinsam mit Clemens zu tun ...
6
C lemens von Treist brachte schon am nächsten Vormittag die ersten Kranken in die Augustinergasse. Er war zwar erst wenige Tage in Mainz, doch seine seltsame Gewandung hatte ihn als Pestarzt bekannt gemacht. Im Gegensatz zu den eingesessenen Ärzten stand er auch nicht in dem Ruf, nur Reiche zu behandeln, und so scheuten sich die verzweifelten Angehörigen der Kranken nicht, ihn anzusprechen. Die erste war eine Mutter, deren Kinder an der Pest erkrankt waren. Sie selbst spürte es in der Aufregung nicht, doch auch ihre Augen glühten schon fiebrig. Clemens verwies sie und ihre zwei Mädchen an Lucia, die ihnen Strohsäcke anbot, Umschläge um die Pestbeulen der Kinder legte und der Mutter Tee anbot, um das Fieber zu senken.
Clemens ging derweil zu den Mönchen, um seine Sachen zu holen. Wie erwartet empfing man ihn nicht gerade mit Begeisterung, hatte er das Hospiz doch gestern ohne Abmeldung verlassen und war nicht zur Abendmesse zurückgekehrt. Die Totengräber hatten zudem erzählt, er sei mit einem Mädchen auf den Gräberfeldern gesehen worden - für die Ordensleute ein Beweis dafür, dass er sich der Unzucht ergeben hatte. Die Gründung eines neuen Pesthauses in der Augustinergasse verwunderte die Brüder, doch sie ließen die Angelegenheit weitgehend unkommentiert.
»Vergesst nur nicht, Euch der Dienste eines Priesters zu versichern, der die Sterbesakramente erteilt!«, ermahnte ihn der Abt.
Clemens versicherte ihm, das werde nicht unterbleiben. Zähneknirschend, aber pflichtbewusst wandte er sich denn auch gleich an den Priester von St. Stephan, der nächstgelegenen Kirche. Er fand ihn fiebernd und von Krämpfen geschüttelt in der Sakristei.
Ein weiterer Patient für sein Pesthaus.
In den nächsten Tagen füllte sich das Haus in der Augustinergasse mit Kranken, aber die Totengräber trugen sie auch sehr schnell wieder hinaus. Sie spotteten über die gelüfteten Krankenzimmer und die reinlichen Laken. Lucia kam aus dem Waschen nicht mehr heraus, hatte aber immerhin ein paar pflichtbewusste Angehörige der Kranken rekrutiert, bei der Pflege zu helfen. Wer in ihrem Krankenhaus starb, musste zumindest nicht elend verrecken.
Dann aber erholten sich die ersten Kranken.
Clemens' erste Patientin, die junge Mutter, folgte ihren Töchtern nicht in den Tod. Sie starb auch nicht, wie Lucia befürchtet hatte, an gebrochenem Herzen wie Meister Clemens. Stattdessen brachen ihre Pestbeulen nach drei Tagen auf und heilten dann sauber unter den Rotweinkompressen ab. Die Frau, Katrina mit Namen, dankte dem Himmel und blieb im Hospital, um bei der Pflege zu helfen. Sie ließ sich nicht abwimmeln, und zu Clemens' Verwunderung steckte sie sich kein weiteres Mal an.
»Das ist bei Blattern auch so«, erinnerte Lucia sich an eine Notiz von Ar-Rasi. »Wenn man einmal davonkommt, ist man vor der Krankheit gefeit.«
Der Nächste, der sich erholte, war der Pfarrer von St. Stephan. Der Gottesmann verbuchte dies
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