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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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als Wunder, blieb dem Pesthaus in der Folge jedoch tunlichst fern. Lucia, Katrina und Clemens verbrachten viel Zeit damit, in den umliegenden Gemeinden nach Priestern zu suchen, die bereit waren, den Sterbenden die Sakramente zu erteilen.
 
    Während Lucia und Clemens die Kranken pflegten und experimentierten - neben den Rotweinkompressen versuchten sie auch, die Beulen mit Breiumschlägen oder Essigwaschungen aufzuweichen -, verlor sich die Stadt immer mehr in Exzessen jeder Art. In den Schenken wurde oft schon tagsüber gefeiert und getrunken; man tanzte auf den Gräbern der Pestopfer und betäubte so seine Angst.
    Gleichzeitig blühte der verzweifelte Handel, der Krankheit durch Buße für echte und vermeintliche Sünden zu entgehen. Reiche Bürger spendeten Unsummen an die Kirche, um sich frei zu kaufen; Arme krochen nackt und betend auf Knien durch die Straßen und geißelten sich. Die Bewegung der Flagellanten, in den letzten Jahrzehnten durch die Kirche verdammt und eingedämmt, flackerte wieder auf. Der Legende nach hatte ein Engel die Menschen zur Selbstgeißelung zur Errettung der Welt aufgefordert, und dem kamen die Geißler jetzt nach.
    Es hieß, dass ein Trupp von dreihundert Geißlern den Rhein entlangzog und seine Lehre verkündete. Natürlich wollten diese Leute verpflegt werden, und wo die Bürger nicht willens waren, sie zu verköstigen, plünderten und raubten sie. Dies brachte das Volk gegen sie auf, obwohl es die Lieder der Flagellanten gern aufnahm. Im Gegensatz zu den Priestern begleiteten sie ihre Prozessionen mit Bittgesängen auf Deutsch - und es hieß, dass sie manchmal Wunder taten und Kranke heilten.
    In Mainz kam es beinahe zu einem Volksaufstand, als die Geißler vor den Toren standen und Einlass begehrten.
    »Ein Hexenkessel!«, berichtete Clemens, der in einer der umliegenden Schenken Nachschub an Rotwein besorgt hatte. Lucia und Katrina wagten das längst nicht mehr. Eine Frau war inzwischen Freiwild in den Straßen von Mainz.
    »Die einen meinen, wir könnten nur erlöst werden, wenn wir diese Verrückten einlassen. Die anderen sind der Überzeugung, das mache alles nur schlimmer. Und die letzten Händler auf den Märkten schließen ihre Stände und verstecken ihre Waren. Dreihundert Fresser, die nicht gedenken, ihre Verpflegung zu bezahlen. Die Schenken werden wohl auch schließen!«
    Schließlich setzte der Bischof sich durch - und auch der »Judenbischof«, wie die Befürworter der Geißler gehässig herumerzählten. Ersterer tat die Lehre der Flagellanten als ketzerisch ab, der zweite fürchtete Ausschreitungen. Im Zuge der Geißlerumzüge kam es immer wieder zu Angriffen auf jüdische Häuser. Das ohnehin empfindliche Gleichgewicht war bedroht.
    Mainz verschloss also seine Tore vor den Frömmlern, die daraufhin in den umliegenden Weinbergen, Bauern- und Gartenhäusern wüteten.
    Die Zahl der Pesttoten in der Stadt stieg auf fast hundert Personen am Tag. Wieder war von Brunnenvergiftungen die Rede.
 
    Lucia und Clemens zogen nach einem Monat Bilanz und versanken trotz einer beeindruckenden Zahl Überlebender weiter in Trübsal.
    »Es sterben weniger Frauen als Männer«, erklärte Clemens. Die Hitze hatte endlich nachgelassen; stattdessen regnete es seit Tagen, und er saß am Feuer. Lucia beheizte die Feuerstellen jeden Tag, seit man die Wärme wieder ertragen konnte. Brennmaterial fand sich reichlich. Auch wenn es nicht zu den üblichen Maßnahmen der Pestbekämpfung gehörte, hatte sie fast sämtliche Kleider der hereinkommenden Kranken verbrannt. Die meisten steckten voller Flöhe. »Und alte Männer sterben nicht so oft wie junge.«
    Lucia hatte Kräuter ins Feuer geworfen, und so fühlten beide sich geschützt genug, um Maske und Schleier abzunehmen. Lucia freute sich auf diese wenigen vertrauten Stunden mit Clemens in der alten Werkstatt des Meisters Wormser. »Wenn ich nur wüsste, was das zu bedeuten hat.«
    »Es bedeutet, dass Frauen stärker sind als Männer!«, neckte Lucia ihn. »Deshalb hat Gott es ihnen auferlegt, die Kinder zu gebären.«
    In der letzten Zeit kam es zwischen den beiden immer häufiger zu harmlosen Tändeleien. Lucia fühlte sich geborgen in Clemens' Beisein, und Clemens freute sich an ihren Wortspielen und klugen Bemerkungen. Wenn er den ernsten Pestarzt abstreifte, erwies er sich als lebhaft und einfallsreich - und manchmal ertappte Lucia sich bei dem Gedanken, wie seine vollen Lippen wohl zu küssen verstanden.
    »Warum habt Ihr eigentlich

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