Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pestglocke

Die Pestglocke

Titel: Die Pestglocke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
Vom Netzwerk:
einholen?«
    »Ja. Und tatsächlich hatte er gestern Vormittag einen Besucher. Die Schwester vom Dienst glaubt, er habe einen englischen Akzent gehabt. Aber wir wissen nicht, wer er ist, und er ist nicht wiedergekommen. Wir haben keine Ahnung, welchen religiösen Überzeugungen Mr. Johnston anhing, falls überhaupt welchen, aber Vertreter beider christlichen Konfessionen in der Stadt waren bereits bei ihm.«
    Dann schwiegen die beiden Ärzte, und ich begriff, dass sie auf meine Zustimmung zu ihrer Entscheidung warteten, auch wenn sie juristisch vermutlich berechtigt waren, sie selbst in Kraft zu setzen. Aus Respekt gegenüber ihrem Patienten wollten sie jedoch den Anschein wahren, alle Formalitäten erfüllt zu haben.
    Wie den meisten Erstgeborenen einer Familie war mir klar, dass mir diese Situation eines Tages in Hinblick auf meine Eltern bevorstehen konnte, und ich hatte immer gedacht, es würde wahrscheinlich bei meinem Vater der Fall sein. Aber bei Terry Johnston lag die Sache völlig anders. Es kam unerwartet. Er war nicht verwandt mit mir. Ich kannte ihn kaum. Und er war nicht viel älter als ich. Was gab mir das Recht, die Entscheidung über die Beendigung seines Lebens zu treffen? Genau betrachtet stellte sich sogar die Frage, ob es angemessen war, wenn ich als seine Arbeitgeberin in diese Entscheidung einbezogen wurde, besonders, wenn sich herausstellen sollte, dass er sich die Infektion während seiner Tätigkeit für mich zugezogen hatte.
    Und konnten sie absolut sicher sein, dass er sich nicht mehr erholte, oder ob ihn nicht doch etwas kurieren könnte, was sie noch nicht versucht hatten? Konnten sie nicht noch ein, zwei Tage warten? Welchen Unterschied würde es machen?
    Wahrscheinlich keinen. Und genau das war der entscheidende Punkt. Ich wusste, dass die Lage hoffnungslos war.
    »Ich möchte bei ihm sein.«
    Sie sahen einander an.
    Cora nahm meine Hände. »Ja, das geht in Ordnung. Gib uns nur noch ein bisschen Zeit, es ihm bequem zu machen ... Was ist, Illaun?« Ich hatte Coras Hand gedrückt, als mir ein Gedanke gekommen war.
    »Wenn er einen septischen Schock erlitten hat, könnte es dann nicht sein, dass er die septische Variante der Pest hat?« Pest-Sepsis war die dritte und am schnellsten zum Tod führende Variante derselben Krankheit.
    »Nein, es handelt sich nicht um Pest, in keiner Form oder Phase«, sagte Abdulmalik.
    »Die Infektion gibt uns immer noch Rätsel auf«, sagte Cora. »Aber wir wissen, warum sie sich so katastrophal auswirkte. Mr. Johnston … « Coras Pager ging los. Sie nahm ihn aus der Tasche und schaute darauf, dann ging sie zu einem Telefon an der Wand und wählte eine Nummer.
    »Herzstillstand in der Aufnahme«, sagte sie zu Abdulmalik und hängte das Telefon wieder ein. Sie sah mich an. »Ich lass dir von einer Schwester Bescheid sagen, wann du zu Mr. Johnston gehen kannst. Wir reden weiter, wenn wir uns um diesen Notfall gekümmert haben.«
    Terry schien friedlich zu schlafen, die Arme lagen seitlich an, und sein Gesicht sah nicht mehr so gequält aus wie am Vortag. Er war allein in einem stillen Raum. Alle Schläuche und Leitungen hatte man entfernt. Das Zischen und Klicken des Beatmungsgeräts war verstummt. Dann bemerkte ich seinen eigenen Atem. Er war flach, die einzelnen Züge lagen weit auseinander und konnten nicht genügend Sauerstoff in sein Gehirn transportieren, um ihn bei Bewusstsein zu halten oder Schädigungen zu verhindern.
    Außer einem Stuhl befand sich nur noch ein gelber Abfallbehälter im Raum, in den ich anschließend meine Schutzkleidung entsorgen konnte.
    Ich setzte mich und legte meine Hand auf seine. »Terry«, sagte ich leise. »Ich weiß nicht, ob Sie mich hören können. Es tut mir leid, was passiert ist. Und ich weiß nicht genau, was Sie neulich Abend gemeint haben, aber Ihre eigene ... Diagnose war richtig. Sie haben nicht die Beulenpest.« Es war wohl kaum ein Trost für einen Sterbenden, zu erfahren, was ihn nicht tötete, aber ich fand es trotzdem wichtig, es zu sagen, wegen des besonderen Schreckens, den die Pest in der kollektiven Erinnerung unserer Gattung auslöst.
    Terry atmete erneut, aber ich nahm es nur wahr, weil meine Hand auf seiner Brust lag. Die Pusteln auf seinem Hals waren noch dunkler geworden. Ich schaute in sein Gesicht und sah eine Reihe kleinerer Flecken, von der Größe und Farbe von Mohnsamen, auf seiner Stirn. Während ich sie beobachtete, schien einer davon zu wachsen, bis er die Größe eines Streichholzkopfs

Weitere Kostenlose Bücher