Die Pestglocke
nachgedacht.«
»Das ist noch angewachsen.« Ich erzählte ihr vom Anruf des anglikanischen Pfarrers.
Sie lachte heiser. »Vielleicht können wir ja einen Kompromiss ausarbeiten, der alle Seiten zufrieden stellt.«
»Wer setzt Sie unter Druck, Muriel?«
»Niemand, ich schwöre es. Es ist wichtig, die örtliche Bevölkerung auf unserer Seite zu haben. Deshalb habe ich mir überlegt, dass wir die Statue eine Woche lang bei Ihnen im Kulturerbezentrum ausstellen könnten.«
»Wie es der Zufall will, findet in vierzehn Tagen hier ein Kulturfestival statt.«
»Ich hatte eher daran gedacht, sie sofort auszustellen. Wir können sie nicht zwei Wochen lang stehen lassen, ohne sie überhaupt schon richtig in der Hand gehabt zu haben.«
»Das ist zu kurzfristig, Muriel. Sie würden mindestens so viele Leute verärgern wie erfreuen. Es müsste genügend Zeit sein, die Sache zu bewerben; wir könnten es noch auf die Plakate und Flugblätter für das Festival bringen, und das wäre dann auch ein angemessener Kontext.«
»Hm. Da haben Sie natürlich recht. Und bis dahin hätten wir Zeit, etwas zusammenzuschreiben, warum das Museum der geeignete Ort für die Statue ist. Vielleicht könnten wir sogar einen unserer Konservatoren hinschicken, damit er eine Rede hält. Gut, dann machen wir es also so.«
»Ich sollte Ihnen noch sagen, dass die Fronleichnamsprozession in der Stadt nächsten Sonntag stattfindet. Pfarrer Burke hat eine Kampagne gestartet, die Statue dabei einsetzen zu dürfen.«
»Ach, dieser Mensch mit seinen primitiven Ansichten! Ausgeschlossen, dass so ein kostbares Artefakt auf einer Prozession mitgeschleppt und wahrscheinlich noch vom Regen nass wird.«
Ihre Bemerkung hatte etwas Elitäres, Arrogantes sogar. Aber diese Kehrtwendung nach ihrer ursprünglichen Entschlossenheit, die Statue unverzüglich zu entfernen, war typisch für Muriel. Deshalb war mir klar, dass es keinen Sinn hatte, mit ihr zu streiten – sie würde ihre Haltung ohne mein Eingreifen irgendwann ohnehin überdenken.
Ich brachte noch etwas zur Sprache, was mir schon die ganze Zeit durch den Kopf ging. »Könnten Sie nicht jemanden vom Nationalmuseum hierherschicken, der sich mit mittelalterlichen Schnitzereien auskennt – in den nächsten Tagen, meine ich? Ich würde gern noch andere Meinungen zu der Statue hören.«
»Gibt es denn jemanden, der qualifizierter ist als Sie? Bei Interviews bezieht man sich häufig auf Ihre Veröffentlichungen über kirchliche Bildhauerei.«
»Davon zehre ich seit meiner Doktorarbeit, Mu-riel. Die abgesehen davon nur einen ziemlich begrenzten Aspekt des Themas behandelte und Artefakte aus Holz eigentlich überhaupt nicht einschloss. Deshalb hätte ich wirklich gern ein zweites Gutachten.«
Ich hörte sie an ihrer Zigarette ziehen. »Also gut, was halten Sie davon: Ich kümmere mich darum, dass einer unserer Konservatoren in den nächsten ein, zwei Tagen zu Ihnen kommt, Sie beide können ein Schwätzchen halten, und dann begleitet er oder sie das Kunstwerk hierher. Auf diese Weise wäre es rechtzeitig zur Kulturerbewoche wieder zurück, aber über das nächste Wochenende außer Reichweite von Pfarrer Burke.«
»Na ja, ich denke ...«
»Tut mir leid, wenn ich Sie unterbreche, Illaun, aber die Sache kann nicht warten. Ich rufe nämlich aus noch einem Grund an. Heute Morgen – genau genommen schon in wenigen Minuten – wird ein Journalist in der Gerry Ryan Show sein, ein gewisser Darren Byrne, und er wird das Nationalmuseum vermutlich in dieser Sache angreifen. Sie wollten mich ebenfalls in der Sendung haben, aber am besten wäre es wohl, wenn diese Neuigkeit aus einer lokalen Quelle käme, finden Sie nicht?«
»Sie meinen mich?« Ich wollte ihr gerade mitteilen, dass ich emotional nicht in dem Zustand war, in einer Radiotalkshow zu erscheinen; aber dann überlegte ich, dass ein Schlagabtausch mit Darren Byrne vielleicht genau das war, was ich brauchte. Muriel mochte mich ja manipulieren, aber ich wollte dem Kerl ohnehin die Meinung sagen. Vor allem wollte ich es wegen Fran tun.
Ich schaltete das Radio an und hörte, wie Ryan gerade ein Gespräch abschloss, das er mit Byrne über den Fund der toten Afrikanerin und die Frage, ob es sich um einen Ritualmord handelte, geführt hatte. Der Moderator fabulierte über verschiedene mögliche Verwendungen der Leichenteile, etwa dass der Täter den Schädel als Trophäe behalten haben könnte – »vielleicht, um Zaubertränke daraus zu trinken oder ihn in einen
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