Die Pestglocke
trocken. »Na ja, die beiden haben es jedenfalls geschafft, die Skelette zurückzubekommen – aber in diesem Punkt haben sie zusammengearbeitet.«
Die Skelette, die wir ausgegraben hatten, waren zur Behandlung ins Nationalmuseum gebracht worden, aber bald würden die meisten davon mit einer angemessenen Zeremonie auf dem städtischen Friedhof wieder beigesetzt. Pfarrer Burke und Reverend Davison hatten sich dafür starkgemacht, und das Museum hatte Feingefühl gegenüber den Gefühlen der Einheimischen bewiesen und nur ein paar ausgewählte Skelette für eine Zeit behalten, da man ihnen mit Hilfe neuer wissenschaftlicher Techniken weitere Informationen entlocken konnte.
»Sie haben auch dazu beigetragen, das Rassenproblem vor einer Weile zu entschärfen«, sagte ich. »Vielleicht besteht der Trick darin, sie auf Ihre Seite zu bringen. Jedenfalls ist es besser, die Statue am Ort zu haben, und sei es in einem Museum, als wenn sie ganz woanders ist.« Als ich das sagte, fiel mir ein, dass Darren Byrne und seine Zeitung die Situation damals weiter aufgeheizt hatten, indem sie einen Artikel über das Wiederaufflammen von Krankheiten wie TBC Seite an Seite mit einem Bericht über den Versuch, abgelehnte Asylbewerber aus der Stadt zu entfernen, stellten. Offensichtlich hatte Byrne dieses Thema vorhin in der Radiosendung immer noch beschäftigt.
Ich hatte mein Gespräch mit Usher beendet und fuhr gerade los, als Peggy anrief und mir mitteilte, seit Mittag würde das Telefon ununterbrochen läuten, weil man mich interviewen wollte. Ich beschloss, einen weiten Bogen um das Büro zu machen und stattdessen im Heritage Centre vorbeizuschauen.
Zuerst ging ich in die Bibliothek, um den Schlüssel abzuholen. Paula Egan, eine der Bibliothekarinnen, äußerte den Wunsch, einen Blick auf die Statue zu werfen. »Ich lese in der Zeitung davon, aber ich habe sie noch keinen Moment zu Gesicht bekommen«, sagte sie. Sie hatte ein strahlendes, freches Lächeln, einen lustigen Pferdeschwanz und eine ausgeprägte Mimik, bei der ihr blonder Pony in der Stirn auf und ab hüpfte.
Ich sagte, sie könne selbstverständlich mitkommen, und wir machten uns auf den Weg zum Ausstellungsraum.
»Es ist ziemlich kalt hier drin, oder?«, sagte sie, als wir den Raum betraten.
»Ja, die Heizung ist abgestellt. Die Skulptur befand sich sehr lange an einem kühlen Ort.« Ich schaltete das Licht ein.
»Ah, wundervoll«, sagte Paula, während wir den Raum durchquerten. Etwa drei Meter von der Bühne entfernt stutzte sie plötzlich. »Hey, sie stillt ja.«
Bei einem Seitenblick auf Paula bemerkte ich, dass sie schwanger war. »Man nennt es eine Maria Lactans«, sagte ich. »Überrascht es Sie?«
Paula nickte. »In gewisser Weise ja. Aber stillende Mütter dürften ein normaler Anblick in Europa gewesen sein, als sie entstanden ist, deshalb ist es wahrscheinlich nicht weiter bemerkenswert.«
»Stimmt. Und überdies wurde die Tatsache, dass Maria Jesus gesäugt hat, in christlichen Schriften als Erinnerung an seine menschliche Natur verwendet. Und als Metapher für die geistige Nahrung, die sie uns allen spenden konnte.«
»Und die sich wohl kaum über ein Fläschchen verabreichen ließ«, sagte Paula lachend und schwang ihren Pferdeschwanz. »Die gab es damals ohnehin noch nicht. Dafür hatten sie wohl Ammen als menschliches Äquivalent.«
»Da haben Sie recht. Es war so üblich, dass manche Mystikerinnen berichteten, wie sie Jesus in ihren Visionen säugten.«
»Ach, hören Sie auf. Das klingt ein bisschen nach Schwindel«, sagte sie, als wir vor die Bühne traten.
»Ich glaube, wir sind von den Medien darauf konditioniert, Brüste fast ausschließlich unter einem sexuellen Aspekt zu sehen, deshalb erscheint uns die Idee, sich als Amme zu einem spirituellen Hochgefühl zu saugen, beinahe pervers. Aber die Männer und Frauen im Mittelalter hatten eine wesentlich ganzheitlichere Ansicht von der weiblichen Brust. Sie konnte mütterlich, sexuell und spirituell zugleich sein.«
»Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen.« Paula blickte auf ihre größer gewordene Brust hinab, die ihr in den letzten Monaten auf eine ganz neue Weise bewusst geworden sein musste. Sie musterte die Statue bewundernd von Kopf bis Fuß. »Auch vom Stillen abgesehen, hat sie auf jeden Fall einen sehr weiblichen Körper; sehen Sie sich nur ihren Bauch an.«
Paula hatte recht. Unterhalb des hoch angesetzten Gürtels betonte die Falllinie des Kleids ihre Gestalt; ein weiterer
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