Die Pestglocke
Luft weiter zerfielen.
Gayle reichte mir eines der sterilen Probengläser – ein durchsichtiges Kunststoffröhrchen mit einem eingebauten Löffel samt Griff, der einen wiederverschließbaren Deckel bildete. Wegen des Helms und der Maske lief mir der Schweiß über die Stirn -ich würde aufpassen müssen, dass ich nicht einen Tropfen davon unter die Probe mischte. Ich schraubte den Verschluss ab und holte tief Luft, dann beugte ich mich unter den vorstehenden Teil des Sargbodens und schabte etwas von der Substanz mit dem Löffel ab, wobei ich das Röhrchen darunterhielt, um alles aufzufangen.
Während ich noch unter der Bleizunge kauerte, begann ich den Deckel wieder draufzuschrauben. Dabei bemerkte ich in einer Ecke des Sargs unter mir etwas, das wie ein durchtränktes Geflecht aus Fasern aussah.
Ich tauchte unter dem Boden hervor, wandte mich ab und schnappte ein wenig frische Luft. »Da ist noch etwas«, murmelte ich in meine Maske und gab Gayle den Probenbehälter zurück. »Mach den anderen auf, bitte.«
Dann beugte ich mich wieder in den Sarg, aber erst, nachdem ich die Fasern auf die Spitze des Löffels gespießt hatte, sah ich, dass es sich um einen Klumpen verfilzter Haare handelte, etwas in der Art, wie man es aus einem lange vernachlässigten Waschbeckenabfluss holen konnte.
Während ich das tropfende Geflecht in den Probenbehälter senkte, klickte etwas an die Innenseite des Glases. Ich drehte es und sah eine Art schwarzen Span aus Blei an einer Haarsträhne baumeln.
Während ich gegen die zunehmende Übelkeit ankämpfte, verschloss ich das Gefäß rasch und reichte es Gayle, dann legte ich Maske und Helm ab und holte tief Luft.
»Alles in Ordnung, Illaun? Was ist da drin?«
»Haare ... und etwas, das wie ein menschlicher Fingernagel aussieht.«
»Igitt, das ist ja total widerlich«, sagte Gayle, hielt das Glas auf Armeslänge von sich und schloss die Augen, damit sie nicht in Versuchung geriet hineinzuschauen.
Was tun mit den Proben? Knochen hätte ich an den Osteoarchäologen schicken können, der bis vorige Woche mit uns zusammen an der Ausgrabung gearbeitet hatte. Aber das hier?
»Ich schaue mal, wie es Terry geht«, sagte ich. »Auf jeden Fall bringe ich ihn ins St.-Loman-Krankenhaus – zusammen mit dem hier.«
»Du bringst das Zeug in ein Krankenhaus?«, fragte Gayle verwundert.
»Wir können es ja wohl kaum ans Nationalmuseum schicken.« Dann wurde mir klar, dass Gayle den Inhalt der Gläser zwar abstoßend fand, aber offenbar nicht daran dachte, dass er eine mögliche Krankheitsquelle sein könnte.
Terry tauchte hinter dem Bagger auf und trocknete sich das kurz geschnittene schwarze Haar. Er trug ein schwarzes T-Shirt und eine Jogginghose, die jemand aus der Mannschaft spendiert hatte. Ich stopfte meine Maske und die Handschuhe in eine Papiertüte, klemmte mir den Helm unter den Arm und wartete mit der Aktentasche in der Hand, bis er bei uns war.
Während er näher kam, sah ich, dass er blass war unter seiner Sonnenbräune.
»Wie geht es Ihnen, Terry?«
»Ich krieg diesen Scheißgestank nicht aus der Nase, aber ansonsten fühl ich mich prächtig.« Terry war Engländer, hatte sich aber im Laufe vieler Jobs in Irland zahlreiche hiesige Redewendungen angeeignet.
»Das war knapp. Das ganze Ding hätte auf Sie herunterkrachen können. Haben Sie etwas von der Flüssigkeit geschluckt oder inhaliert?«
»Nein, bewahre, ich versuch, es mir gerade abzugewöhnen.«
Gayle fand das rasend komisch.
»Ich bringe Sie jedenfalls ins St. Loman«, sagte ich.
»Ich habe erst vor ein paar Wochen eine Tetanusspritze bekommen.«
»Tetanus ist nicht das, was mir Sorgen macht.«
»Es ist nur Leichensuppe«, sagte er und schwankte leicht. »Ich habe jede Menge von dem Zeug gesehen, als ich damals bei der Christuskirche in Spitalfields mitgearbeitet habe.«
»Wow, du hast bei den Ausgrabungen in der Krypta mitgearbeitet? Das war in den Achtzigern, oder?«, sagte Gayle, sichtlich beeindruckt.
»Ja, wir haben die Überreste von rund tausend Särgen gehoben. Die meisten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Ich habe genug von dieser Kadaversauce berührt. Die Leichen schwammen zum Teil in dem Zeug. Pocken waren damals eine große Sorge, und der Bleipegel in unserem Blut. Aber die größten Probleme waren psychologischer Art, wie sich herausstellte.«
»Wie dem auch sei«, sagte ich, »wir können nicht vorsichtig genug sein. Ich möchte, dass Sie auf jeden Fall gründlich untersucht werden.«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher