Die Pestglocke
warst du der Einzige, der nicht in den abgesperrten Bereich gegangen ist?«
Er nickte feierlich. Ich hatte es so hingestellt, als wäre er der Vernünftige unter den Jungen gewesen.
»Weil du derjenige warst, der das Zombiemesser hatte?«
In Ajes Augen trat Angst statt Stolz.
Ich hörte einen Mann in einem Zimmer im ersten Stock husten.
»Was für ein Messer?«, fragte seine Mutter beunruhigt.
Aje flehte mich mit Blicken an, die Sache zu erklären.
»Keine Angst, Mrs. Ngozi. Es war nur ein Fantasiemesser.«
»Ich verstehe nicht, worum es hier geht. Lassen Sie uns jetzt in Ruhe.« Sie begann, die Tür zu schließen.
Aje tippte mich am Arm an. »Ich war doch drin. Ich hab sie richtig erschreckt«, flüsterte er stolz und blinzelte mir zu.
Ich blinzelte zurück. Aje und seine Freunde waren alle in dem kontaminierten Bereich gewesen. Warum hatte sich Stephen Bolton dann als Einziger infiziert?
18. Kapitel
A ls ich zu Hause eintraf, kam es mir vor, als wäre ich eine Woche fort gewesen. Meine Mutter war zu Besuch bei ihrer Schwester Betty, die rund zehn Kilometer von Castleboyne entfernt wohnte. An lauen Sommerabenden saßen sie gern draußen auf Tante Bettys Terrasse und tranken Gin Tonic. Wenn es mehr als einer wurde, blieb meine Mutter über Nacht. Ich hatte so eine Ahnung, dass es ein Abend für mehr als einen werden würde, da sie Horatio mitgenommen hatte.
Ich riss mir das Jackett vom Leib und warf es auf die Couch. Als ich gerade alle Fenster und Türen aufriss, um die Hitze hinauszulassen, die sich im Laufe des Tages angestaut hatte, zirpte mein Handy.
Es war Peter Groot. »Matt Gallagher hat mir die Nummer gegeben und lässt schön grüßen. Können Sie mir hier in der Gegend ein Lokal zum Abendessen empfehlen?«
»Ihr Hotel ist nicht schlecht.« Aber es ist auch nicht wirklich gut, Illaun.
»Ich dachte eher an etwas mit ein bisschen Atmosphäre oder gutem Essen. Vorzugsweise beides.«
»Sie haben recht. Es gibt ein Restaurant namens Celtic Bow, es liegt am Fluss, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Sie haben Süßwasserfische auf der Speisekarte. An einem Abend wie heute ist es nett dort. Und man muss nicht reservieren.« Ich begann mich aus einem engen Top zu schälen, das mir wie angeschweißt auf der Haut saß.
»Und bestimmt noch netter in der richtigen Gesellschaft. Hätten Sie Lust, mich zu begleiten?«
Ich war überrascht, wenn auch nicht allzu sehr. Ich ließ das Oberteil am Finger baumeln. Es schwang wie ein Metronom. Soll ich oder soll ich nicht?, tickte es, hin und her. Du hast gerade eine Verabredung mit deinem Verlobten abgesagt. Aber ich hatte Finian erzählt, dass ich versuchte, die Ursache für den Ausbruch herauszufinden – und Groot würde die Ergebnisse von Terry Johnstons Autopsie kennen. Ach, zum Teufel, dachte ich. Ich bin neugierig auf diesen Typen, basta. Und außerdem hatte ich einen Bärenhunger, war zu müde, um zu kochen, und der ewigen Heimservice-Menüs überdrüssig.
Ich ließ das Kleidungsstück einmal um den Finger rotieren und schleuderte es in eine andere Ecke des Sofas. »Ich bin dabei.«
»Ich bestelle ein Taxi und hole Sie ab. Passt Ihnen halb neun?«
Ich widerstand dem Drang, zu sagen, dass ich fahren und ihn abholen würde. Es wäre nett, zur Abwechslung einmal in Ruhe etwas trinken zu können und nicht derjenige zu sein, der fahren musste, wie es meist der Fall war, wenn Finian und ich zusammen ausgingen. »Ja, wunderbar. Bis dann also. Der Taxifahrer wird wissen, wo ich wohne.«
Nach einer Dusche beschloss ich, etwas Leichtes zu tragen, da der Abend immer noch drückend warm war. Aber was? Wer einen Blick in meinen Kleiderschrank werfen würde, nähme wahrscheinlich an, dass ich ihn mit mehreren Leuten teilte, oder hielte mich für eine gespaltene Persönlichkeit. Ich selbst bevorzuge den beschönigenden Ausdruck »Eklektizismus«, und er verdankt sich unter anderem einer Neigung dazu, wie ein Chamäleon auf die jeweiligen Umstände zu reagieren – manchmal zufällig, wenn ich etwa an einem Tag, an dem ich schwarz gekleidet bin, einem Bestattungsunternehmer auf der Straße in die Arme laufe, manchmal absichtlich, wenn ich an einem sonnigen Tag einen Ausflug ans Meer plane und dem Drang widerstehen muss, Hellblau zu tragen. Mein Schrank musste also eine breite Palette an Möglichkeiten bereithalten.
Ich wählte schließlich ein Chiffonkleid mit einem aquamarinblauen Blumenmuster aus und dazu Sandalen mit Korkabsätzen. Ich steckte das Haar
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