Die Pestglocke
sagte er und schob sich ein Stück Lachs mit anscheinend noch mehr Genuss in den Mund. »Ich versuche auch, mich nicht schuldig zu fühlen. Die Vorstellung eines Raubtiers mit Gewissensbissen finde ich lächerlich. Und ich will nicht mit dem Gefühl durchs Leben gehen, dass jeder Sonnenuntergang durch Luftverschmutzung hervorgerufen wird, oder wegen der globalen Erwärmung in Panik geraten, weil ein Sommer mal etwas wärmer ausfällt. Das hält mich allerdings nicht davon ab, mir blöd vorzukommen. Nur ein dummes Raubtier tötet seinen gesamten Bestand an Beute oder zerstört seine Umwelt. Filoviren, zum Beispiel – tödlich, aber kurzsichtig, wie wir selbst ...« Er wandte den Kopf nach rechts, als ein Kellner ein Paar am Tisch neben uns platzierte.
»Hat eines davon Terry Johnston getötet?«
»Nein, es war doch kein hämorrhagisches Fieber. Ich glaube, ich weiß, was es war, aber ich brauche mehr Zeit, um es zu beweisen.«
»Sagen Sie es mir.«
Groot schielte kurz nach rechts. Ich folgte seinem Blick und sah, dass das Paar am Nachbartisch schweigend vor sich hin starrte. Offenbar befürchtete Groot, sie könnten lauschen.
»Später. Vielleicht können wir einen Spaziergang am Fluss machen?«
»Ja, gern.«
Der Kellner goss Wein in Groots Glas, und ich sah, wie er das Bouquet aufnahm und dann feinfühlig und sinnlich einen Schluck im Mund kreisen ließ. Diese Prozedur ist nicht immer der attraktivste Anblick, aber ihm dabei zuzusehen, war unerwartet anregend.
»Wie sind Sie eigentlich zur Medizin gekommen?«, fragte ich, bemüht, unbeteiligt zu klingen. Groot nickte dem Kellner zu, der den Wein einschenkte, unsere Teller abräumte und sich entfernte.
»Man könnte sagen, es lag in der Familie. Und eine missionarische Tradition hat ebenfalls noch hineingespielt. Mein Vater hat einen großen Teil seines Lebens der Ausrottung der Tuberkulose in den Townships gewidmet, deshalb brach es ihm das Herz, mit anzusehen, wie Aids durch die gleichen Gebiete fegte und die vermeintlich besiegte TBC neu aktivierte. Aber ich muss gestehen, als ich Pathologe wurde, hatte ich zunächst keinen großen Ehrgeiz, die Welt vor irgendetwas zu retten. Erst als dann 1994 der neue Polizeidienst ins Leben gerufen wurde, hatte sich wohl mein Weltverbesserungsgen bemerkbar gemacht, und ich meldete mich. Ich dachte, ich könnte etwas bewirken in einem Land, in dem Polizei und Justiz lange Zeit gegen die Menschen im Einsatz waren, statt für sie.«
»Und, war es so?«
»Eine Zeit lang ja. Und dann tauchte ein Fall auf .«
Der Kellner war mit unseren Hauptgerichten erschienen, und wir lehnten uns zurück, während er die Teller mit dem Hecht vor uns hinstellte.
»Gibt es irgendwelche Legenden zu Hechten?«, fragte Groot.
»Dazu bräuchten wir Finian«, sagte ich. »Er ist der Experte für Heimatgeschichte und Volkskunde.«
»Ein Volkskundler? Und bestimmt der kreativste Gärtner, der mir je begegnet ist. Ein Multitalent, Ihr Finian.«
Ich errötete leicht, aber ich wusste nicht, ob es das besitzanzeigende »Ihr« oder der Ausdruck »Multitalent« war, der mir missfiel. Wahrscheinlich beides. Oder vielleicht war es auch die Art, wie mir Groot in die Augen sah, als suchte er nach einem schwachen Punkt in meiner Bindung zu Finian.
Groot schenkte Wein nach, und wir begannen zu essen. Er erkundigte sich nach meiner Familie, und ich erklärte, dass mein Bruder als Kinderarzt mit Frau und Sohn in Chicago lebte, und dass mein Vater in einem Pflegeheim für Alzheimer-Patienten war und es ihm in den letzten Monaten sehr schlecht ging.
»Tut mir leid, das zu hören. Sie mochten Ihren Vater offenbar sehr – so wie ich meinen«, fügte er wehmütig an. Dann zuckte er die Achseln und füllte unsere Gläser neu.
Als ich ein paar Gräten beiseitelegte, fiel mir etwas ein, das mir Arthur Shaw über den Kopf des Hechts erzählt hatte – der zum Glück nicht zu unserem Gericht gehörte. »Mir ist gerade ein Aberglaube in Zusammenhang mit Fisch eingefallen; der Hecht hat einen kreuzförmigen Knochen im Kopf, der früher als Schutz gegen Zauberei getragen wurde.«
Groot runzelte die Stirn. »Das bringt mich sonderbarerweise wieder zu dem zurück, was ich über meine Arbeit im südafrikanischen Polizeidienst erzählt habe. Da gab es diesen Fall – die Knochen von Hannes Rall, einem früheren Politiker der Nationalpartei, waren ausgegraben worden. Sie wurden zermahlen und zur Herstellung eines Gebräus verwendet, das man als Muti-Heilmittel gegen
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