Die Pestglocke
Verwirrungszustände, akute Lungenentzündung, pustelartige Hautgeschwüre, abruptes Einsetzen einer Blutvergiftung.
Hier hatten wir es also mit einer Krankheit zu tun, die Elemente einer Pilzinfektion aufwies, eines hämorrhagischen Fiebers, von TBC und sogar der Pest. Aber nichts von alldem war in Blut- oder Eiterkulturen aufgetaucht. Dann erfuhr ich von dem Jungen, den man eingeliefert hatte, und dass er auf dem Friedhof gespielt hat, wo die Flüssigkeit ausgelaufen war. Also fragte ich mich: Welche Krankheit kann andere nachahmen, wird bekanntermaßen über Erde oder stehendes Wasser erworben, tritt opportunistisch bei Erwachsenen auf, die bereits an Zuständen wie Diabetes oder HIV leiden, und kann aber auch gesunde Kinder angreifen? Es gibt einen ins Auge springenden Kandidaten – Melioidosis.«
Das klang nach einer harmlosen Racheninfektion und nicht nach dem Eiter bildenden, Organe zersetzenden Horror, den er eben beschrieben hatte.
»Klären Sie mich auf.«
»Das ist eine bakterielle Infektion, die über Schleimhäute oder Hautverletzungen in den Körper eindringt, auch durch Einatmen von Staub oder Wasserpartikeln. Es hat gelegentlich Fälle einer Übertragung von Mensch zu Mensch gegeben, unter anderem durch Sexualkontakt. Die Identifizierung im Labor ist auch hier die einzig sichere Diagnosemethode, aber der Erreger - Burkholderia pseudomallei - ist schwer zu züchten, vor allem im Frühstadium. Und doch gibt es Leute, die ihn im Labor anhand eines süßen, fauligen Geruchs identifizieren können, wenngleich es nicht empfehlenswert ist, an den Schalen zu schnuppern. Wie gesagt, spekuliere ich also nur. Und außerdem gibt es noch ein nicht unerhebliches Problem: Melioidosis kommt nur in den Tropen vor.«
Wir blieben stehen, während ich diese Mitteilung auf mich wirken ließ. »Wie könnte sie also hierhergelangen, auf einen irischen Friedhof? Und in einen Sarg, den man im Mittelalter begraben hat?«
Groot warf die Hände in die Höhe. »Ich habe keine Ahnung.«
Wir setzten unseren Weg zur Brücke fort. Der Fluss reflektierte das schwindende Tageslicht nun nicht mehr, stattdessen tanzte der Mond auf seiner Oberfläche und wurde von den kleinen Wellen in Abschnitte zerteilt. Ich blickte auf und sah, dass es fast ein Viertelmond war, Wölbung und Blässe seines Antlitzes erinnerten an eine venezianische Maske.
»Ich habe die Freunde des Jungen aufgespürt«, sagte ich. »Die Ärzte dachten, sie hätten nicht innerhalb der Absperrung gespielt, aber das stimmt nicht. Ich habe herausgefunden, dass sie alle drei drin waren. Wieso sind die anderen dann nicht krank geworden?«
»Das ist merkwürdig. Aber Melioidosis hat eine extrem variable Inkubationszeit, sie reicht von Tagen bis zu Jahrzehnten. Sie könnten sich also sehr wohl angesteckt haben.«
»Es gibt aber auch noch eine andere Erklärung, oder?«
»Nämlich?«
»Dass der Boden im Friedhof gar nicht kontaminiert war und Stephen Bolton auf andere Weise mit diesem Erreger in Kontakt kam.«
»Das ist in diesem Stadium wahrscheinlich Wunschdenken, Illaun. Aber ich gebe zu, eine kleine Chance besteht.«
Wir waren nahe an der alten Steinbrücke. Wenn wir unter dem letzten Bogen hindurchgingen, würden wir zu einer Treppe kommen, die zur Straße hinaufführte, und konnten auf diesem Weg zum Restaurant zurückkehren, wenn wir es wünschten. Doch ehe wir den Bogen erreichten, trat ein Mann in dunkler Kleidung aus dem Schatten unter der Brücke und kam auf uns zu.
Wir rechneten damit, dass er uns passieren würde, aber stattdessen ging er zielsicher auf uns zu. Die wächserne Gesichtsfarbe und die nach hinten gekämmte graue Mähne waren unverkennbar: Ich hatte ihn am Sonntag in der Kirche gesehen.
Der Mann sah Groot durchdringend an. »Dr. Groot, ich muss mit Ihnen sprechen.« Er hatte einen gebildeten, englischen Akzent.
Groot trat einen Schritt zurück. »Kennen wir uns?«
»Wir sind uns noch nie begegnet. Mein Name ist Mortimer, Ross Mortimer. Ich muss über Terry Johnston mit Ihnen reden.« Je näher er kam, desto eidechsenartiger erschien seine Haut; seine Lippen waren nicht existent, die Augenlider purpurne Membranen.
Groot und ich sahen einander an.
»Woher wussten Sie, dass ich hier bin?«, fragte Groot.
»Ich wohne im selben Hotel wie Sie. Ich wollte Sie in Ihrem Zimmer aufsuchen, aber Sie waren im Taxi weggefahren. Die Angestellte am Empfang, die Ihnen das Taxi bestellt hatte, sagte mir, wohin Sie gefahren sind. Ich beschloss, einen
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