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Die Pestglocke

Die Pestglocke

Titel: Die Pestglocke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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lange her ist, seit es hier außer Studenten praktisch keine Leute aus Entwicklungsländern gab. Inzwischen gibt es meines Wissens Städte, in denen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ausländischer Herkunft ist. Unter diesen werden Sie Menschen finden, die strikt bei ihren eigenen Gebräuchen und Überzeugungen bleiben wollen – was in Ordnung ist, solange sie nur eine kleine Minderheit sind. Andernfalls könnten Sie sich der Situation gegenübersehen, dass eine erhebliche Anzahl von Leuten in Ihrem Land lebt, die sich nicht Ihren Gesetzen, Ihrem politischen System oder Ihren kulturellen Werten verpflichtet fühlt.«
    »Was sich für mich nach der Art und Weise anhört, wie sich europäische Kolonisten gegenüber den eingeborenen Afrikanern benahmen.«
    »Touche. Aber wenn das nicht in Ordnung war, warum sollte man es dann bei irgendeiner kolonisierenden Kultur dulden?«
    »Kommt darauf an, was Sie unter kolonisieren verstehen.«
    »Nehmen wir ansteckende Krankheiten als Modell. Wir sind uns wohl beide einig, dass die europäischen Methoden oft brutal und blutig waren, ein bisschen wie Ebola.«
    Ich nickte.
    »Aber Kolonisierung kann auch heimlich geschehen, wie Aids. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich stelle das Thema nur zur Diskussion. Und soviel ich in der kurzen Zeit, die ich hier bin, mitbekommen habe, ist eine rationale Diskussion über die Sache anscheinend das Letzte, was irgendwo stattfindet.«
    Nicht zum ersten Mal verwirrten mich Groots Bemerkungen. Ohne seine Verdienste als AntiApartheid-Aktivist und die Geschichte seiner Familie hätte man ihn als Rassisten verdächtigen können. Möglicherweise hatten ihn jüngere Entwicklungen in Südafrika auch zu einem desillusionierten Idealisten werden lassen. Oder aber seine Vertiefung in eine postkoloniale, gemischtrassige Kultur qualifizierte ihn dazu, Dinge zu sehen und zu sagen, die gesagt werden mussten, auch wenn sie für meine unerfahrenen Ohren hart klangen.
    »Sollen wir jetzt diesen Spaziergang am Fluss machen?«, fragte ich.

19. Kapitel
    E ine hölzerne Treppe auf der Rückseite des Cel-tic Bow führte zu einem Kiesweg hinunter, der parallel zum Fluss verlief, und auf dem wir in Richtung derselben Brücke gingen, die Fran und ich am Samstag gemalt hatten. Wir blieben kurz stehen und schauten auf den Fluss hinab, der unter uns vorbeiströmte und das Blau des Himmels widerspiegelte; es war immer noch hell, obwohl es schon gut nach 22.00 Uhr war.
    »Ich denke gerade an diese Ertrunkenen heute«, sagte Groot. »Das ist derselbe Fluss, oder?«
    »Ja. Der Boyne.«
    »Schwimmen Sie darin?«
    »Nicht mehr, seit ich sehr klein war. Die Stellen, an denen man hier gefahrlos baden konnte, wurden durch ein katastrophales Flusssanierungsprogramm zerstört.«
    »Scheint Sie mächtig zu ärgern.«
    »Wahrscheinlich hat mich Finians Vater angesteckt. Er lässt keinen Tag vergehen, ohne dass er davon anfängt.«
    »Komisches Wort, das – angesteckt. Normalerweise hat es ja einen negativen Beigeschmack, aber wir bezeichnen auch Lachen als ansteckend, und man kann es verwenden, um die Wirkung einer anderen Person auf unsere Gefühle zu beschreiben.« Er blieb stehen und griff nach meiner Hand. »Sie wissen, was ich meine?«, sagte er und drückte sie sanft.
    »Lassen Sie uns fürs Erste bei den negativen Assoziationen bleiben«, sagte ich, zog meine Hand zurück und verschränkte die Arme. »Sie sagten, Sie glauben zu wissen, was Terry Johnston getötet hat.« Ich war froh, dass ich es so ruhig herausbrachte. Ich war ganz durcheinander, aber ich wollte nicht, dass er es merkte.
    Wir schlenderten weiter in Richtung Brücke. »Ähm, okay. Lassen Sie mich vorneweg sagen, dass ich nur spekuliere. Eine Autopsie kann in so einem Fall keine endgültige Klärung bringen. Sie muss im Labor bestätigt werden. Zunächst einmal habe ich mich überzeugt, dass die Diagnose Aids korrekt war – alle Anzeichen waren vorhanden: Die oberen Lungenlappen waren mit Zysten übersät, von einer Sorte, die mir in den letzten Jahren nur allzu vertraut wurde. Dann bemerkte ich, dass es größere, eitrige Hohlräume in der restlichen Lunge gab, dazu Abszesse in Leber, Milz und Nieren. Die Lymphknoten in der Brust waren auf die Größe von Trauben angeschwollen; manche waren aufgeplatzt. Es gab außerdem eine Menge blutiger Flüssigkeit in den Lungen und der Unterleibshöhle. Ich bin die Krankenblätter durchgegangen und habe seine Symptome mit dem Personal erörtert: Fieber und

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