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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Fabio den an, der diesen Spruch von sich gegeben hatte.
    Nachdem sich alle einigermaßen an den Anblick und den Geruch gewöhnt hatten, trat der Kastellan näher, um feststellen zu können, wer da vor ihnen lag. So sehr er sich auch bemühte, konnte er beim besten Willen nichts mehr erkennen.
    »Ist das nun der vermisste Totengräber?«, fragte er sich und ließ nach dem Medicus schicken, der die Leichenbeschau durchführen sollte.

    *

    Dass der Tote nicht Otward sein konnte, beruhigte den Kastellan ungemein. Denn als er am vergangenen Sonntag kurz vor Einbruch der Dunkelheit von Immenstadt nach Hause gekommen war und vom schrecklichen Erlebnis seiner Familie erfahren hatte, war er von seiner Frau derart unter Druck gesetzt worden, dass er versprochen hatte, gleich am nächsten Morgen zum Färberhaus zu reiten, um sich nach Otward zu erkundigen. Wie es der Zufall gewollt hatte, war zu dieser frühen Stunde auch schon der alte Opser unterwegs gewesen, um bei den Hennes frisch gewobenes Leinen abzuholen.
    »Das trifft sich gut«, hatte ihm der Kastellan entgegengerufen und gesagt, er wolle sie besuchen.
    »Uns? Zu solch früher Stunde? … Was wollt Ihr denn von uns?«, hatte sich der Blaufärber gewundert.
    »Ach nichts Besonderes! Ich wollte mich nur erkundigen, ob es euch gut geht«, hatte der Kastellan scheinheilig gefragt und zur Antwort bekommen, dass alles in Ordnung sei.
    »Seid ihr alle gesund?«, hatte der Kastellan noch gefragt und darauf ein klares »Ja« erhalten.
    »Otward geht’s auch gut?«, hatte er nachgehakt.
    »Ja! Ich denke schon …«, quetschte der Blaufärber, den diese Frage wunderte, heraus, »aber ich muss jetzt weiter.«
    Da der Kastellan Antworten bekommen hatte, die ihn zufrieden stellten, vor allen Dingen aber seine Frau beruhigen dürften, hatte er nicht weiter bohren wollen und sich verabschiedet.

    *

    Während sich der Kastellan jetzt die Leiche etwas genauer betrachtete, standen die anderen ratlos herum und warteten neugierig auf den Medicus. Plötzlich zeigte einer der Männer zur Straße und rief erregt: »Seht ihr das?«
    Die Köpfe der anderen drehten sich in die Richtung, in die der Mann immer noch zeigte.
    »Um Gottes willen. Was ist das denn?«, fragte ein anderer, sah aber schon fast nichts mehr. Denn genau in dem Moment, als ein riesiger schnabelartiger Schatten um die Ecke gekommen und immer länger geworden war, verdunkelte sich der Himmel, und der Schatten verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war. Es schien geradeso, als wenn sich die Sonnenstrahlen vor dem Antlitz der unheimlichen Gestalt hinter dunklen Wolken verstecken wollten.
    Als der Verursacher dieses Schattenbildes um die Ecke bog, lief ihnen der kalte Schauer über den Rücken.
    »Bleibt gelassen. Es ist nur der Medicus«, beruhigte der Kastellan die um ihn und die Leiche Herumstehenden. Er war der Einzige, der diese Angst einflößende Gewandung von Immenstadt her kannte. »Was für ein Auftritt«, murmelte er in einem kurzen Anflug von Respekt.
    Als der Medicus bei der Menschenmenge angelangt war, wich sie entsetzt zurück und bildete eine Gasse. Heinrich Schwartz hatte sich heute zum ersten Mal die typische Schutzkleidung der Pestärzte, die man in Staufen nie zuvor gesehen hatte, angelegt. Er trug Handschuhe, deren Stulpen weit über die Ärmel eines schwarzen Mantels reichten. Der Saum des wallenden Überkleides reichte fast bis auf den Boden. Vor dem Gesicht trug er eine weiße Maske mit einer Riesennase, die dem Schnabel eines überdimensionalen Greifvogels glich. Um die Luft zu filtern, hatte er einen in Essig getränkten Schwamm in die Nasenauswölbung der Maske gesteckt. Hals und Kinn bedeckte ein schwarzes Tuch. Auf dem Kopf trug er einen flachen Zylinder, und in der Hand hielt er einen langen Stab.
    » Vade retro !«, gebot er den Männern, die zwar nichts verstanden, aber sowieso schon unaufgefordert vor ihm zurückgewichen waren, mit einer theatralischen Handbewegung.
    Erst als sie ihn sprechen hörten, kam das Vertrauen und somit auch der Mut zurück.
    »Was weiß man von ihm?«, fragte er den Kastellan, der als Einziger frei von Angst direkt vor ihm stehen geblieben war.
    »Eigentlich nicht viel. Man hat ihn bereits vor ein paar Tagen gefunden, aber jetzt erst aus dem Wasser gezogen«, antwortete Ulrich Dreyling von Wagrain wahrheitsgemäß. Allerdings verschwieg er, wer die Leiche entdeckt hatte. Er wollte seine Familie nicht noch mehr in die Schusslinie bringen und hatte Angst davor, dass

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