Die Pestspur
begraben werden. Unabhängig davon, dass das Holz knapp war, war er mit der Sargmacherei nicht so schnell nachgekommen, wie es Tote gab. Da half es auch nichts, dass sich der Medicus für jeden Sarg mit ein paar Kreuzern erkenntlich gezeigt hatte. Fabio wusste nicht, dass der Schlawiner dies nicht ohne Eigennutz getan hatte. Wenn er nicht wäre, könnte der Medicus keinen halben Gulden pro Sarg berechnen. Allerdings hatte der verkommene Arzt nicht vor, alle Toten, deren Särge bezahlt worden waren, auch darin bestatten zu lassen. Er wusste, dass der Propst Gottes Segen den Verstorbenen nur noch aus der Ferne mit auf die Reise geben und dementsprechend nichts von seiner Arbeit mitbekommen würde. Und die Angehörigen würden aus Angst vor Ansteckung sowieso nicht mehr an den Bestattungen teilnehmen.
Wenn bei den Begräbnissen niemand dabei ist, kann auch niemand in die Gräber schauen … und wenn niemand in die Gräber schaut, sieht auch niemand, ob die Toten Särge haben oder nicht. So einfach ist das, sinnierte der Medicus und bastelte in Gedanken weiter an der Perfektionierung seines Plans: Sowie ich wieder gesägtes Holz aufgetrieben habe, werde ich Fabio weiterhin Särge zimmern lassen, diese aber zunächst irgendwo lagern und nur dann verwenden, wenn ausnahmsweise einmal tatsächlich Angehörige bei Beerdigungen dabei sein möchten, plante er weiter.
Wie er sich so seine finanzielle Zukunft ausmalte, erfuhr der Medicus, dass es schon wieder eine Tote gab, was ihn allerdings nicht verwunderte. Die Menschen in Staufen begannen zu verzweifeln und die Pest zu verfluchen.
Kapitel 28
Da die Menschen genügend mit sich selbst zu tun hatten und es schon bald darauf kaum noch einen Haushalt gab, in dem es nicht zu Krankheits- oder gar zu Todesfällen gekommen war, verließen sie so wenig wie möglich ihre Häuser. Dennoch hatten mittlerweile fast alle vom Verschwinden des Totengräbers und von der Leiche im Entenpfuhl gehört. Aber die Staufner zeigten überraschend wenig Interesse dafür. Vor dem Ausbruch der Pest hätte die Neugierde der einheimischen Bevölkerung Scharen von Menschen zum Ort des Geschehens gelockt und die wildesten Gerüchte kursieren lassen. So aber waren nur wenige zum Tümpel gekommen, um der ungewöhnlichen Leichenbergung beizuwohnen. Dem Kastellan war es nicht einmal gegen Bezahlung von zwanzig Kreuzern gelungen, jemanden zu finden, der sich bereit erklärt hätte, die ekelerregenden Reste des schwammigen Körpers aus dem trüben Wasser zu ziehen. Dadurch hatte sich die Totenbergung ein paar Tage hingezogen, was die Leiche nicht besser aussehen ließ.
Um die Identität der Wasserleiche feststellen zu können, musste sie aber erst aus ihrem feuchten Grab geborgen werden. Aufgrund der Aussagen verschiedener Wanderheiler glaubten die Menschen fälschlicherweise, dass die Berührung oder das Einatmen der durch bakterielle Zersetzung entstehenden Fäulnis schädliche Wirkungen hervorrufen würde. Vor dem so genannten ›Leichengift‹ hatten sie solch eine Heidenangst, dass der Kastellan ein Machtwort sprechen musste und schlussendlich den beiden Schlosswachen Siegbert und Rudolph die undankbare Aufgabe zuteilte, Fabio bei der Bergung zu helfen. Auch der junge Leichenbestatter hatte sich bisher erfolgreich davor gedrückt, diese Drecksarbeit zu übernehmen. Erst als ihm die beiden Schlosswachen zur Seite gegeben wurden und auch er ein paar Münzen für diese Scheißarbeit erhalten hatte, tat er, was von ihm erwartet wurde. Während sich Rudolph hinter einem Baum übergab, versuchte Fabio mit Siegberts Hilfe die sterblichen Überreste des Unbekannten aus dem Tümpel zu ziehen.
Da sich der Leichnam im Ufergeäst verfangen hatte, mussten sie so kräftig an ihm ziehen, dass sie ihm versehentlich aufgeweichtes Fleisch von den Armen abzogen. Das Wasser fing fast zu brodeln an, als sich sofort ein Schwarm kleiner Fische über den Leckerbissen hermachte. Als die aufgeschwemmte Fleischmasse endlich am Teichrand lag, bot sich den Anwesenden ein wüster Anblick. Der ekelerregende Gestank ließ an die Schrecken der Hölle denken.
»Ja, so stinkt es, wenn man von den Gehilfen Satans nach unten gezogen worden ist«, sagte einer der Umstehenden und hielt sich – wie auch die meisten anderen – zum Schutz ein Tuch vor den Mund.
»Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Wir haben hier jemanden heraus und nicht nach unten gezogen. Anstatt dummes Zeug zu reden, hättest du uns helfen können«, schnauzte
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