Die Pestspur
tatsächlich um die Pest handeln, davor würde schützen müssen, um seinen Schäflein weiterhin erhalten zu bleiben. Deswegen würde er die heiligen Sakramente – »… aber nur, wenn die Pestilenz den Tod hervorgerufen hat«, betonte er mit erhobenem Zeigefinger – von der Straße aus spenden.
»Ja, ja. Der Geist des Herrn kennt keine Schranken und gelangt in jedes noch so verschlossene Haus«, raunte der Medicus mit einem unüberhörbaren Anflug von Spott. Da er mehr als zufrieden mit dieser Lösung war, wäre er fast etwas zu übermütig geworden – insbesondere, weil die Sache auch ohne Zustimmung des Kastellans, der ja seit der Kündigung des Ortsvorstehers selbst erster Mann des Dorfes war, geregelt worden war. Somit würde sich das Oberamt in Immenstadt wohl nicht einmischen, und die nach Staufen abkommandierten Federlecker trauten sich jetzt – nachdem auch sie von der Pest gehört hatten – eh nicht mehr aus dem Haus. Am meisten freute es ihn aber, dass der junge Leichenbestatter keine Entlohnung bekommen sollte und er das Geld, das für jede Bestattung zu entrichten war, selbst einstecken konnte.
*
Fabio war ein lustiger Bursche, der das Leben nicht allzu ernst nahm und das Beste aus seinem erbärmlichen Dasein machte. Seit seiner Kindheit hatte er sich allein durch das mehr oder weniger schöne, aber stets spannende Dasein schlagen müssen. Da er in dieser Zeit ständig mit der Angst gelebt hatte, dass man ihm eines Tages wegen Diebstahls die Hand abhacken würde, konnte ihn jetzt nichts so leicht umhauen.
Seinen Vitaminhaushalt glich er aus, indem er auf Bäume kletterte und sich über Zäune lehnte, um Obst oder Gemüse zu stehlen. Er wusste schon gar nicht mehr, wie oft er schon davongerannt war, wenn man ihn wieder mal in flagranti ertappt hatte. Jedenfalls hatte ihm dies eine gute Kondition und einen schlechten Ruf eingebracht. Er war außerordentlich pfiffig und stellte sich gern dümmer, als er war. Aufgrund seiner Erfahrungen war er zwar stets wachsam und neugierig, würde aber niemals kritische Fragen stellen.
Als Fabio vom Propst in sein neues Arbeitsgebiet eingewiesen und vom alten Mesner neu gewandet wurde, rechnete er sich schon aus, welchen Erlös er aus dem Verkauf der schwarzen Kutte erzielen könnte, wenn er seine Arbeit an den Nagel hängen sollte. Er hatte nicht vor, lange Ersatz-Totengräber zu sein – zumal es sich dabei nicht gerade um eine Arbeit handelte, um die man sich reißen musste. Anfangs glaubte er sogar, sich niemals an die manchmal schlaffen, manchmal steif gewordenen, aber immer schrecklich anzusehenden und stinkenden Leiber gewöhnen zu können. Nachdem es ihm aber im Laufe der Zeit gelungen war, seine anfänglichen Skrupel zu überwinden und er sich beim Anblick der Leichen nicht mehr ständig übergeben musste, schien er seine Arbeit fast zu mögen. Da er zwischendurch ein paar Heller bekam, von denen weder der Propst noch der Medicus etwas wussten, war es ihm leichter gefallen, sich seinem, erstmals in seinem Leben klaren, Schicksal zu ergeben.
*
Ein mittlerweile zwar nicht gerade vertrautes, aber allseits bekanntes Geräusch zerschnitt die vorabendliche Stille.
»Schon wieder einer, den die wütende Seuche geholt hat«, raunten sich diejenigen, die das Poltern und Knarzen des ›Pestkarrens‹ hörten, zu und bekreuzigten sich noch schnell, bevor sie sich wieder verbarrikadierten.
»Das ist der Siebzehnte«, berichtete Fabio dem in einigem Abstand neben ihm her laufenden Staufner Pfarrherrn von seinen bisherigen Bemühungen, eine weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Zumindest glaubte er dies zu tun, indem er die Pesttoten nicht lange liegen ließ und stattdessen so schnell wie möglich unter die Erde brachte.
Während er den Karren mit den riesigen beiden Rädern vor dem Haus des verstorbenen Zinnflickers in Position brachte, bekam er mit, wie Propst Glatt sein Versehbesteck auf einem Holzblock ausbreitete, eine Kerze entzündete und zu beten begann: »In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, Herr, Heiliger Vater, allmächtiger und ewiger Gott, immer und überall zu danken …«
»Kommt Ihr nicht mit hinein?«, fragte Fabio verwundert.
Aber der Propst winkte nur ab und murmelte weiter.
Fabio kümmerte sich um den toten Zinnflicker, es würde die siebzehnte Grube sein, die er innerhalb von nur vier Tagen ausheben müsste. Obwohl Fabio nebenbei auch noch ein paar Särge zusammengezimmert hatte, würde dieser Tote ohne Holz drum herum
Weitere Kostenlose Bücher