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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Oberschenkel, dass die anderen erschraken.
    »Ich weiß, was wir tun! Wir stellen sofort ein paar Suchtrupps zusammen und durchkämmen nicht nur das ganze Dorf, sondern auch die Wiesen und Wälder rund um Staufen.«

Kapitel 4

    Zur selben Zeit nahm Lodewig, zweitgeborener und siebzehnjähriger Sohn des Kastellans, zum ersten Mal seinen sechsjährigen Bruder Diederich zu einem seiner alten Lieblingsplätze mit. Da Lodewig bald Geburtstag haben würde und damit offiziell als Erwachsener galt, wollte er sich endgültig von allen Kindereien, so auch von der ›Staufenburg‹, einer selbst zusammengezimmerten Bretterhütte auf dem Staufenberg, verabschieden. Hätte er auch nur im Entferntesten geahnt, wie plötzlich das Erwachsensein kommen, wie gnadenlos es sein bisher unbekümmertes Leben erfassen und auf welch brutale Art er am Ende dieses trüben Septembertages gezwungen sein würde, die Welt mit anderen Augen zu sehen, hätte er sich wohl kaum ohne das Wissen seiner Mutter aus dem Schloss geschlichen und zudem auch noch Verantwortung für seinen jüngeren Bruder Diederich übernommen. Dem kleinen Lausbub war ein ebenso fröhliches Naturell wie seinen beiden älteren Brüdern in die Wiege gelegt worden. Aber er war – im Gegensatz zu ihnen – zurückhaltend, ja, man könnte sagen schüchtern, fast ängstlich. Der jüngste Sohn des Kastellans wusste, dass er von allen geliebt wurde und fühlte sich im Kreise seiner Familie am wohlsten. Lodewig war sein großes Vorbild. Er würde alles dafür tun, so zu werden wie sein großer Bruder. Allerdings war er bei weitem nicht so pfiffig wie Lodewig. Er war, weiß Gott, nicht dumm, tat sich aber doch etwas schwerer beim Lernen und beim Begreifen von Zusammenhängen. Seine Eltern sagten immer, dass sie ihn auch noch hinbekommen würden. Für sie war das sanftmütige und ehrliche Wesen ihres Jüngsten wichtiger als eine höhere Intelligenz. So war es kein Wunder, dass Diederich sich in all seinem Tun und Handeln auf seine Eltern und seine Brüder stützte. Vertrauensvoll folgte er dem Älteren auf den Staufenberg, einen teilweise bewaldeten Bergkegel, der sich als idealer Abenteuerplatz für die größeren Buben des Dorfes eignete.
    Da Lodewig meist mit viel Arbeit eingedeckt wurde, konnte er sich nur davonschleichen, wenn sein Vater in seiner Eigenschaft als Schlossverwalter wieder einmal zum Rapport in der gräflichen Residenzstadt Immenstadt weilte. Bei solchen Gelegenheiten hatte sich der Heranwachsende oft mit seinem Freund Melchior auf dem Staufenberg getroffen, um ›Ritter‹ zu spielen. Im Dorf selbst trafen sie sich fast nie, da Lodewig zu Recht befürchtete, er könnte von etlichen älteren Staufnern gesehen werden, die dann nichts Besseres zu tun haben würden, als ihn bei seinem Vater anzuschwärzen, nur um vor diesem gut dazustehen. Auch heute wollte er Melchior wie gewohnt auf dem Staufenberg treffen, allerdings zum letzten Mal.

    *

    Lodewig wusste, dass der Ritt nach Immenstadt hin und zurück nicht unter drei oder vier Stunden bewältigt werden konnte und sein Vater mit Oberamtmann Conrad Speen viel zu besprechen hatte. Dennoch würde der Kastellan darauf achten, rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein, um nicht Gefahr zu laufen, von irgendwelchen Strauchdieben oder gar von Mordgesindel überfallen und ausgeraubt zu werden.
    Aber darüber machte sich Lodewig keine Gedanken, er hatte jetzt anderes im Kopf, denn schon bald würde er in der Wahrnehmung seiner Mitmenschen als Mann gelten! Dass er damit auch ins heiratsfähige Alter kam, interessierte ihn trotz seiner derzeitigen Verliebtheit noch nicht ernsthaft. Ihn interessierten viel mehr die Privilegien, die der Eintritt ins Erwachsenenalter mit sich bringen würde.
    »Weißt du Diederich«, begann er während des Fußmarsches zu erklären, »an meinem achtzehnten Geburtstag bekomme ich ein ›Glockenrapier‹, das ist ein fast zwei Fuß langer Degen. Er hat einen fein ziselierten Schutzkorb, in den Vater sogar unser Familienwappen eingravieren lassen möchte! Dazu werde ich auch noch eine ›Misericordia‹ erhalten. Vater sagt, dass dies der schönste italienische Dolch ist, den es gibt.«
    Lodewig konnte es kaum erwarten, diese Waffen zu bekommen und endlich bei seinem Vater in die Kampfschule gehen zu dürfen. Der Bursche wertete dies als so etwas Ähnliches wie die frühmittelalterliche ›Schwertleite‹ oder den hochmittelalterlichen ›Ritterschlag‹, mit dem einst

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