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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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eingebläut hatte, mit Diederich möglichst viel zu sprechen und ihm alles genau zu erklären, weil er stärker als andere Kinder seines Alters gefördert werden müsse, griff Lodewig das Stichwort ›Ritterburg‹ auf.
    »Vater sagt, dass unsere Burg 1043 zum ersten Mal erwähnt wurde«, erklärte er, obwohl er merkte, dass Diederich lieber einem Schmetterling hinterherrannte, anstatt ihm die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. »Komm her und pass gefälligst auf!«, zischte Lodewig den Jüngeren an, erreichte damit aber nur, dass es in Diederichs Gesicht verräterisch zuckte. Erst als er sich beruhigt hatte, unternahm der Ältere noch einen Versuch: »Mama sagt, dass unsere Vorfahren in den Ritterstand erhoben worden sind und wir uns mit der Vergangenheit unserer Familie auskennen müssen, wenn wir es später zu etwas bringen möchten. Obwohl wir stolz auf unsere Familie sein können und blaublütig sind, ist dies allein nicht genug, um von unserem Herrn ein verantwortungsvolles Amt zu bekommen. Wir müssen uns immer wieder aufs Neue bewähren.«
    »Aber unser Blut ist doch nur hellblau, sagt Papa immer.«
    Lodewig musste schmunzeln.
    »Auch wenn wir ›nur‹ dem niederen Adel angehören, so sind wir doch Adlige«, sagte Lodewig, bevor er mit seinem Geschichtsunterricht über das Schloss Staufen fortfuhr.
    Den Ausführungen über die Vorbesitzer des Schlosses folgte Diederich nur mit halbem Ohr, ja er unterbrach seinen Bruder sogar, als es ihm zu viel wurde. »Woher weißt du so viel über unser Schloss?«
    »Woher wohl? Natürlich von unserem Vater! Er hat Einblick in alle Urkunden und Aufzeichnungen, die im gräflichen Archiv in Immenstadt verwahrt werden. Auch in unserer Bibliothek liegen wertvolle Dokumente, du glaubst gar nicht, wie stolz Vater darauf ist. Außerdem habe ich viel von meinem Lehrer erfahren.«
    »Von Propst Glatt?«
    »Ja, Diederich!«
    Mittlerweile war es später Nachmittag geworden, und Lodewig drängte zum Aufbruch.
    »Es könnte sein, dass es heute noch regnen wird. Und vor dem Vater sollten wir auf jeden Fall zu Hause sein. Melchior kommt jetzt sowieso nicht mehr.«
    Von der Mutter dürfte Lodewig und Diederich heute keine Gefahr drohen, da sie ihren allwöchentlichen Waschtag hatte. Wie immer würde sie auf den sicheren Schutz der Schlossmauern und zudem auf die Wachsamkeit der diensthabenden Torwache vertrauen. Nie würde sie darauf kommen, dass Lodewig den zerbröckelten Teil der Südmauer dazu nutzen würde, auf diesem Weg von Zeit zu Zeit auszubüchsen … und dies sogar mit Diederich im Schlepptau. So ging sie auch heute unbekümmert ihrer Arbeit nach, ohne sich Gedanken über ihre Sprösslinge zu machen. Außerdem war schließlich auch noch eine Hausmagd da, die sich um Diederich kümmern konnte. Da aber die eine dachte, Diederich sei bei der anderen, hatten weder die Magd noch die Herrin bemerkt, dass er sich mit Lodewig durch das kleine eisengeschmiedete Türchen, das zum Schlossgarten führte, davongeschlichen hatte. Danach hatten die Knaben den Weg entlang der südlichen Gartenmauer genommen, von wo aus sie sich über einen schmalen und gefährlich rutschigen Pfad den gesamten Schlosskomplex entlanggehangelt hatten. »Wenn du nicht aufpasst, stürzt du dort hinunter!«, hatte Lodewig den Kleinen gewarnt und ihn vorsichtig vor sich hergeschoben.

    *

    Zurück wollte Lodewig einen anderen Weg gehen. Zuvor mussten die beiden Burschen noch durch Wald und Wiesen den Staufenberg hinunter, dann über eine ehemalige Viehweide, bevor sie ein ganzes Stück weiter an den Ortsrand gelangen würden. Dabei mussten sie an einem Gräberfeld vorbei, das man wohl vor vielen Jahrhunderten in sicherer Entfernung zum Ort am Fuße des Staufenberges angelegt hatte. Niemand wusste, wer einst in diesen Gräbern bestattet worden war. Der Ortspfarrer vermutete, dass es wohl Aussätzige gewesen sein mussten, die, wie er immer zu sagen pflegte, ›als strafender Wille Gottes‹ Lepra oder Cholera gehabt hatten und vom Siechenhaus nahe Genhofen hierher gebracht und dann in die Gruben gelegt worden waren. Daher nannte man diesen Ort der ewigen Ruhe kurzerhand ›Leprosenfriedhof‹.
    »Wahrscheinlich Staufner, die in Heimaterde beigesetzt werden wollten«, hatte der Mann Gottes immer wieder betont, wenn er danach gefragt worden war. Obwohl es sich um einen geweihten Ort handelte, kümmerte sich nicht einmal der Ortspfarrer darum. Kein Wunder, dass dieser Platz mehr und mehr verkam und manchmal sogar das

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