Die Pestspur
einundzwanzigjährige Burschen in den Ritterstand erhoben wurden. Das Schönste an der ganzen Sache aber war, dass er seine Waffen schon bald tragen durfte. Deswegen kreisten Lodewigs Überlegungen ständig um dieses Thema, wobei er sorgsam darauf achtete, bei seinen Gedanken genügend Freiraum für ein Mädchen zu lassen, das noch gar nichts von seiner Schwärmerei für sie wusste.
»Sarah,« seufzte er leise, während sie endlich das Ziel erreichten.
*
Nach einem steilen Anstieg standen sie ein Stückchen südöstlich unterhalb des Staufenberggipfels auf den Mauerresten einer ›Arx‹. Auf der Plattform des ehemals römischen Wachturms hatte Lodewig zusammen mit seinem besten Freund Melchior Henne und ein paar anderen Freunden vor vielen Jahren die kleine Holzhütte errichtet, die ihnen nicht nur zum Spielen, sondern bei plötzlich einsetzendem Regen als Unterstand gedient hatte. Da sich Lodewig mittlerweile zu alt für Ritterspiele fühlte, hatte er die Hütte heute seinem kleinen Bruder zeigen und ihm ›offiziell‹ übergeben wollen.
»Und die schenkst du mir jetzt?«, fragte Diederich, dem die Begeisterung aus den großen Augen leuchtete, ungläubig.
»Ja! Pass auf, wenn du etwas älter bist, kannst du mit deinen Freunden hier Ritter spielen, und du bist der Burgherr.«
Großmütig überließ er ihm die ›Burg‹, sozusagen in Form eines vererblichen Adelsgutes, während er gleichzeitig über die kindliche Freude seines Bruders schmunzelte. Dieser hatte jetzt nur noch Augen für die Hütte, richtete sich häuslich ein und sammelte Tannenzapfen für den Kugelhagel auf die Feinde, während Lodewig zunehmend ungeduldig auf seinen Freund Melchior wartete. Dies sollte ihr endgültiger Abschied von der Kindheit werden. Lodewig lächelte, so feierlich war das nun auch wieder nicht, schließlich waren sie beide eigentlich schon längst aus den Kinderschuhen herausgewachsen.
»Wo bleibt Melchior nur?«, fragte er Diederich, als wüsste der Kleine eine Antwort darauf.
In der Vergangenheit hatte es die Freunde oft hierher gezogen, obwohl ihnen dies beide Väter aufgrund der unruhigen Zeiten immer wieder verboten hatten. Aber es war einfach zu schön hier oben, um immer nur auf die gut gemeinten Worte der Erwachsenen zu hören – immerhin gehörten sie jetzt selbst bald zu ihnen.
»Lass uns noch das Stückchen bis zum Gipfel hochsteigen. Dort siehst du rüber bis zu den Burgen Rothenfels und Hugofels«, lockte Lodewig seinen Bruder, der nur widerwillig folgte, weil er ›seine Burg‹ nicht mehr verlassen wollte. »Diese Burgen hat der Freiherr Georg von Königsegg bewohnt, bevor er ins Stadtschloss nach Immenstadt gezogen ist.«
Aber so richtig konnte er das Interesse des Kleinen nicht wecken, noch dazu weil sie oben wegen der vielen Wolken und der nebelgeschwängerten Luft kaum etwas sehen konnten. Also stiegen sie wieder zur Plattform hinunter, wo Lodewig weiter auf Melchior warten wollte. Er ärgerte sich über die Nebelschwaden, weswegen die ansonsten wunderbare Sicht übers Weißachtal zum schweizerischen Säntis hinüber getrübt wurde. Wenigstens war der Blick nach rechts zum näher gelegenen Kapfberg, den man nur als Kapf bezeichnete, mit dem Stießberg, auf dem das Schloss Staufen stand, einigermaßen klar. Der Heranwachsende war heute nur deshalb hierhergekommen, weil sein Vater in Immenstadt zu tun hatte und ihn nicht beim Arbeit-Schwänzen erwischen konnte. Normalerweise hatte sich Lodewig immer gutes Wetter für seine Ausflüge auf den Staufenberg ausgesucht und im Gegensatz zu heute stets Freude daran gehabt.
»Schade, dass es keine Ritter mehr gibt«, meinte Diederich, als sein Bruder erzählte, dass ihr Schloss früher eine echte Ritterburg gewesen war, und fügte enttäuscht hinzu, es wäre schön, wenn das Schloss seinem Papa gehören würde.
*
Lodewig strich seinem Bruder liebevoll durchs Haar. Er wusste, dass es ihm und seinen Brüdern – auch wenn ihnen das Schloss nicht gehörte – ausnehmend gut ging. Sie hatten sogar eine separate Bubenkammer, die, im Gegensatz zu all ihren Freunden, deren gesamtes Familienleben sich in einem einzigen Raum abspielte, so richtig viel Platz bot, insbesondere seit Eginhard, der mit zwanzig Jahren älteste der drei Brüder, nach Bregenz gezogen war, um dort die scholastische Medizin und die Naturheilkunde, wie sie die Mönche des direkt am Bodensee liegenden Klosters Mehrerau praktizierten, zu studieren. Da ihm seine Mutter immer wieder
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