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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Brüder mittlerweile über das kommende Neujahrsfest und das Dreikönigsfest unterhielten, wollte er mehr darüber wissen. So erzählte ihm der Vater, was ihm schon sein Großvater über diese beiden Feste erzählt hatte: »Während in vielen Teilen Europas der 6. Januar als Jahresbeginn gerechnet wird, beginnt bei uns das Jahr nach dem gregorianischen Kalender am 1. Januar. Wie ihr wisst, findet jedes Jahr am Neujahrstag in unserer Kirche ein Gottesdienst statt. Aber früher, da war das ganz anders!«
    Diederich lauschte aufmerksam, als der Vater mit seiner Erzählung fortfuhr: »Früher gab es nicht nur in Staufen, sondern auch in anderen Teilen des rothenfelsischen Gebietes einen Neujahrsbrauch, den man als ›Narrenfest‹ bezeichnet hat. Im Mittelpunkt ist der große Umzug gestanden, dazu haben sich viele Generationen unserer Vorfahren Masken aufgesetzt und in Narrenkleidern verbutzt . Das waren Gewandungen, die sie ganz einfach aus bunten Stoffresten zusammengenäht haben. Dieses so genannte ›Fleckleshäs‹ hat seinen Ursprung bei den alemannischen Vorfahren der Immenstädter und der Staufner, die ursprünglich eine hässliche Lumpen- und Fetzengewandung aus Moosflechten oder Tierfellen getragen haben, um böse Geister und Dämonen zu vertreiben. Im Laufe der Zeit ist das Häs zunehmend feiner geworden und hat irgendwann nur noch aus bunten Rautenmustern bestanden. Als dann 1567 die Königsegger die Grafschaft Rothenfels übernommen haben, haben die Staufner ihrem neuen Herrschergeschlecht zu Ehren zusätzlich auch noch gelbe Rauten auf den Stoff gemalt und dann mit Trommlern und Pfeifern einen Umzug durch das Dorf veranstaltet. Auf dem Dachboden müsste noch ein altes Fleckleshäs liegen. Mama könnte gelegentlich nachsehen, ob es noch da ist, dann kannst du es anschauen und, wenn du vorsichtig bist, auch einmal anziehen!«
    »Au ja«, Diederich klatschte vor Freude in die Hände.
    »Vielleicht kann man es bei der kommenden Fasnacht brauchen?«, scherzte Lodewig und fragte, ob irgendwo unter dem Dach zufällig auch noch eine Landsknechttrommel herumläge.
    Er hätte schon längst selbst nachgesehen. Aber den Sommer über war die Speichertür wegen der dort zum Trocknen ausgebreiteten Samenkapseln abgeschlossen, damit Diederich nicht darauf herumtrampeln konnte.
    Der Vater erzählte noch, dass es damals üblich gewesen war, auch eine christliche Messe zu parodieren und dass dies Propst Glatt als ketzerisch verteufelt hatte, was er stets mit einem Spruch aus dem »Narrenbuch« bekräftigte: » Wer lästert Gott mit Fluchen Schwören, der lebt in Schandt unnd stirbt ohn Ehren. Weh solchen auch, die dem nit wehren. «
    Der Propst hasste alle Bräuche heidnischen Ursprungs und trug eigentlich die Schuld daran, dass die Bestrebungen einiger Altvorderer, das Narrenfest wieder aufleben zu lassen, im Keim erstickt worden waren. Schon als junger Novize hatte er öffentlich gegen Gotteslästerer jeglicher Art gewettert.
    »Wenn die Kirche den alten Brauch nicht verboten hätte, würde Neujahr heute noch so begangen wie früher«, seufzte der traditionsbewusste Kastellan, ein treuer Beamter des Grafen, und zog – bevor er sich zu ärgern begann – zu seiner eigenen Beruhigung an der Pfeife.
    »Und was ist mit dem Dreikönigsfest?«, löcherte Diederich, der an diesem Abend nicht müde zu werden schien, seinen Vater.
    »Das Dreikönigsfest ist das Fest der Erscheinung des Herrn. Am Tag zuvor, also am 5. Januar, reinigen Mama und Rosalinde alle Wohnräume, während Ignaz die Stallungen und die Lagerräume putzt. Am Dreikönigstag selbst stellen wir dann in alle Zimmer des Schlosses kleine Gefäße mit Weihrauch.«
    »Warum?«
    Um ihren Mann etwas zu entlasten, beantwortete Konstanze diese Frage: »Aber das weißt du doch, Diederich! Damit wir die bösen Wintergeister vertreiben können!«
    »Gibt es hier im Schloss Geister?«, fragte der Kleine, der sich jetzt ganz fest an seine Mutter drückte.
    »Nun hör aber auf! Du weißt ganz genau, dass es überhaupt keine Geister gibt und wir diesen Brauch nur noch um der Tradition willen aufrechterhalten! Seit vielen Jahrzehnten konzentriert sich das Fest mehr und mehr auf die Heiligen Drei Könige. Ich schreibe dann mit Kreide den lateinischen Segenswunsch ›Christus mansionem benedicat‹ über die Eingangstür.«
    »Was heißt das?«, fragte Diederich, der mit Latein überhaupt nichts anzufangen wusste und jetzt doch so langsam müde wurde.
    »Christus segne dieses

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