Die Pestspur
ihren Ausführungen immer noch nicht fertig, zügelte jetzt aber ihre Lautstärke. »In diesem Haus fühlen wir uns alle sehr wohl. Nachdem wir es ehrlich erworben haben, hast du es mit deinen eigenen Händen weiter ausgebaut. Und deswegen bin ich stolz auf dich. In Staufen werden wir respektiert und sind hier wohlgelitten. Wir haben etliche gute Bekannte, an die wir uns jederzeit wenden können, und ich bin mittlerweile sogar mit der Frau des Kastellans befreundet. Auch wenn wir fast alle Hühner opfern mussten, ist es uns während der letzten Monate nicht allzu schlecht ergangen. Wir haben jedenfalls überlebt! Oder? Wäre nicht die Sache auf dem Markt gewesen und wäre nicht diese merkwürdige Pest in unser Dorf gekommen, würden wir auch heute noch gute Geschäfte mit unserem Geflügel machen. Sieh in den Stall. Um nicht Gefahr zu laufen, selbst geschlachtet zu werden, haben wir während der schweren Zeit unsere Hühner um Gottes Lohn verschenkt. Letztendlich müssen wir dankbar sein, dass man uns einen kräftigen Hahn und zwei willige Hennen gelassen hat – dies aber auch nur, weil ich das wertvolle Federvieh rechtzeitig an einem sicheren Platz versteckt habe. Jetzt piepsen wieder über zwanzig gelbe Flaumknäuel im Stroh. Das ist unsere Zukunft! Hörst du?« Um ihre Stimme nicht ständig überschlagen zu lassen, verringerte Judith ihre Lautstärke: »Du glaubst doch selbst nicht, dass ich das wieder aufgebe? Meine Hühnerzucht läuft weiter! Bis zum Frühjahr bin ich damit wieder so weit, um auf den Markt gehen zu können.«
»Sofern es den wieder gibt«, fuhr Jakob dazwischen, während er immer wieder an seinem Bart mit einer Hand nach unten strich.
Aber sein sarkastischer Spruch brachte ihm nur eine weitere Argumentationsattacke seiner Frau ein, die ihn sogar beleidigte, indem sie androhte, ihm im Schlaf die Pejes abzuschneiden, wenn er nicht sofort vernünftig werden würde.
Da dies schmachvoll und demütigend für das männliche Familienoberhaupt und zwangsläufig das sofortige Aus ihrer Ehe gewesen wäre, zog es Jakob vor, den Worten seiner Frau nichts mehr entgegenzusetzen und nur kleinlaut zu antworten: »Alles ist in Ordnung!«
Er deutete Sarah, sich zu ihm zu setzen und drückte seine Stirn an die ihre, während er sanft ihre Wange streichelte.
»Ich möchte nur, dass du glücklich wirst. Heiraten und Kinder zur Welt bringen gehören zu unserer natürlichen und von Gott gewollten Lebensordnung. Schon als du ein Säugling warst, haben wir dir gewünscht, dass du gesund zur Ehe heranwachsen mögest. Nun ist es also so weit. Und offen gesagt, bin ich stolz auf dich. Wir werden einen Weg finden, um zumindest hier in Staufen die Glaubensunterschiede ausgleichen zu können, insbesondere da die Einheimischen im Gegensatz zu vielen anderen Christen, mit denen wir in Lüttich, Köln, Stuttgart und in all den anderen Städten während unserer Flucht von Antwerpen Kontakt gehabt haben, bemerkenswert offen sind und uns nicht einmal den Zutritt zu ihrem Gotteshaus verwehren würden, wenn wir dort hinein wollten … was wir natürlich nicht wollen«, fügte er noch schnell hinzu, bevor er mit ruhiger Stimme weiter sprach: »Wüssten die Staufner, wie andernorts mit uns Juden umgesprungen wird, würden sie sich möglicherweise nicht so entgegenkommend verhalten.«
Der Gedanke an die europaweiten Judenpogrome ließ Jakob tief durchschnaufen, bevor er den Faden wiederfand: »Da uns der Herr hierher nach Staufen gesandt hat, wird er auch Verständnis für unsere Situation haben. Eines muss ich dir aber sagen …«
An dieser Stelle legte Jakob eine kleine Pause ein, durch die Mutter und Tochter wieder verunsichert wurden.
Judiths Augen blitzten gefährlich auf: »Was ist jetzt schon wieder?«
»Ja, Vater, was ist?«
»Nichts, meine geliebte Tochter. Es ist nur so, dass du große Verantwortung auf dich laden wirst, wenn du dich von einem so hochrangigen jungen Mann, wie es der zweitgeborene Sohn des Kastellans ist, zur Frau nehmen lässt. Da sein größerer Bruder Eginhard die Natur und die Heilkunde studiert, wird Lodewig eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und du wirst dann sozusagen die designierte Herrin des Schlosses, die Frau des Schlossverwalters … die Kastellanin! Sei dir dieser Verantwortung jetzt schon bewusst. Aber was ich eigentlich sagen wollte …«
Jetzt machte er wieder eine Pause und schaute verschmitzt drein, bevor er zu lächeln begann und sagte: »Lodewig ist ein guter
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