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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Thun deß Totengräbers Ruland Berging mitsampt eines ruchig Unbekannten.
    II. Didrik, seines Zeichens der jüngere Sproß deß Blaufärbers Hannß Opser unnd seineß Weibs Gunda verschwindt ohn ein Spur.
    III. Der Totengräber, der schon ward genannt, thut ihm gleich unnd verschwindt ohn ein Spur.
    IV. Die Pestilenz rafft neunundsechzig Stauffner dahin, davon dreiundvierzig Kommunikanten, selbige fast zu gleicher Zahl Mann wie Weib unnd sechsundzwanzig Nichtkommunikanten, wovon der Knaben mehrer sindt.
    V. Otward, seines Zeichens der Ersthgephorn Sohn des Blaufärbers unnd selbigen Weibs verschwindt ohn ein Spur.
    VI. Im Entenpfuhl wirdt eine gar arg zugerichtet Leich gefunden, die nit mehr kann gekläret werden.
    VII. Der Blaufärber mitsampt sein Weib verschwinden unter merckwürdigk Umbständ unnd hinterlaßen einig Zeichen die da sindt …

    Zu jedem Punkt notierte er akribisch alles, was ihm hierzu aufgrund der Informationen seiner Eltern, der vielen Gespräche mit Einheimischen, von Überlebenden und Angehörigen der Toten und was ihm selbst aufgefallen war, einfiel. Während er den beiden mit einem Ohr lauschte, schrieb er alles ein zweites Mal auf, wobei er jetzt in die Mitte eines Blattes einen kleinen Kreis zog. Darin setzte er den Punkt I. Um diesen Kreis zog er für die noch ungeklärten Punkte Striche, an deren Ende er die römischen Ziffern II. bis VII. setzte. Danach konzentrierte er sich auf das Addieren einiger Zahlen. Als sich der Kastellan und der Propst gegenseitig alles berichtet hatten, wandten sie sich interessiert Eginhard zu. Eine ganze Zeit lang betrachteten sie abwechselnd die schematischen Aufzeichnungen und die fast kunstvolle Zeichnung mit dem Kreis und den Strichen.
    Eginhard äußerte ohne Umschweife seine Vermutungen: »Bei den meisten Erkrankten sind zwar – wie für die Pest typisch – anfängliche Krankheitsbilder wie Kopfschmerz, Körperhitze und Benommenheit ebenso vorgekommen wie darauf folgende Verdauungsstörungen und Halluzinationen, die mit großen Schmerzen einhergegangen sind, was bei laienhafter Beurteilung auf diese Seuche hinweisen könnte. Diese oberflächliche Betrachtung wäre aber falsch, da die typischen Merkmale, Knoten und Beulen hinter den Ohren, unter den Achseln und in den Leisten, offensichtlich bei keinem einzigen Erkrankten auffällig waren. Da es keinesfalls die Lungenpest gewesen sein kann, weil daran ausnahmslos alle gestorben wären, sprechen wir hier ausschließlich von der Beulenpest. Da aber keiner der Patienten Schwellungen nahe der am nächsten gelegenen Lymphknoten gehabt hat, kann es auch keine Beulenpest gewesen sein. Ohne Beulen keine Pest! – Klar?«
    Eginhard stand auf, hieb mit der Faust auf den Tisch und stützte sich mit beiden Händen darauf, bevor er mit seinen Ausführungen fortfuhr: »Ich stelle die kühne These auf, dass es sich überhaupt nicht um die Pest gehandelt hat und dass der Medicus ein durchtriebener Geschäftemacher ist! Ich habe da so einen Verdacht: Allen Erkrankten hat er durchwegs giftige Kräutersude verabreicht und es so hingebracht, dass die armen Menschen mehr oder weniger freiwillig dafür bezahlt haben. Ihr müsst euch das so vorstellen: Von September bis Dezember sind …« Eginhard sah die beiden fragend an, um sich zu vergewissern. »Stimmt das: neunundsechzig?«
    Der Kastellan und der Propst nickten bestätigend.
    »Also neunundsechzig Menschen scheinbar der großen Pestilenz erlegen. Wäre es tatsächlich die schrecklichste aller Seuchen gewesen, hätten in diesem Zeitraum eigentlich wesentlich mehr Menschen sterben müssen. Außerdem fällt mir auf, dass die Schwächsten, also die Kinder, nur ein gutes Drittel davon ausmachen … aber dies ist ein anderes Thema. Es geht jetzt darum, dass viele Opfer den Medicus zwei Mal, womöglich sogar öfter, konsultiert haben, bevor sie elendiglich gestorben sind. Auch wenn sie für ihren ersten Besuch bei ihm nichts bezahlen mussten, so war der zweite Arztbesuch umso teurer. Der Medicus dürfte pro Patient und Besuch im Schnitt ungefähr einen Gulden eingenommen haben. Manche haben inständig gehofft, mit Geld ihr Leben retten zu können, und haben in ihrer Angst aus freien Stücken heraus sogar noch mehr bezahlt, was uns eine genaue Abrechnung schwer macht. Auch wenn es dem Medicus gelungen ist, dass die Patienten ihm das Geld mehr oder weniger freiwillig gegeben haben, so hat er es letztendlich doch angenommen. Somit hat er von September an – in nur vier Monaten

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