Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
gehalten wurde – öffnete. Als er sie nach oben drückte, schnellte die Luke schlagartig hoch, wodurch auf dem Dachboden ein zunächst undefinierbarer Höllenlärm verursacht wurde und mehrmals irgendetwas Schwarzes gegen die Luke und in sein Gesicht schlug. Geistesgegenwärtig zog er die Bretterkonstruktion wieder nach unten, wobei sie ihm unsanft auf den Kopf knallte. Er musste sich erst von seinem Schrecken und dem Schmerz erholen, bevor er – vorsichtig geworden – die Luke nur eine Handbreit öffnete. Der schmale Schlitz genügte aber, um zu erkennen, was hier vor sich ging.
    »Corvus corone!« , entfuhr es ihm entsetzt.
    Es mussten wohl an die hundert Krähen sein, die hier wild durcheinander flatterten. Um die schwarze Brut zu vertreiben, klopfte er mit dem Knauf seines schnell gezogenen Dolches heftig an das Holz. Die Vögel ließen sich zwar irritieren, verschwanden aber nicht gleich. Erst als der Kastellan auch noch lauthals schrie und mit den Armen wild herumfuchtelte, verließen sie widerwillig ihr Winterquartier.
    Der Kastellan hasste diese unheimlichen Aasfresser, die sich alljährlich im Herbst auf dem Dach des höchsten Gebäudes des Schlosses versammelten, wie um zu beratschlagen, wo sie ihr Winterquartier aufschlagen sollten. Vor etlichen Jahren war er der Gastgeber dieser Bande gewesen. Dieses Jahr hatten sich die klugen Vögel wohl für das leerstehende Färberhaus entschieden. Man glaubte, dass sie ihre schwarze Farbe durch einen Fluch erhalten hatten. Ihre hässlichen Jungen hatten so schwere Köpfe, dass sie mit dem Schwanz voraus aus den Eiern schlüpften. Wenn dies nach dem Gründonnerstag geschähe, würden Dohlen daraus. Die Menschen sahen in den Aaskrähen das Böse schlechthin. Sie setzten sie Dämonen, verwunschenen Kreaturen der Hölle, verwandelten Hexen und Zauberern gleich, weswegen die Tiere auch als ›Totenvögel‹ verschrien waren.

    Erst als die letzte Krähe verschwunden war, wagte es der Kastellan, den Dachboden zu betreten.
    »Pfui Teufel! Hier ist ja alles verschissen!«, stieß er angewidert hervor und hielt sich ein Tuch vor Mund und Nase.
    In der Tat hatten die Vögel ihre ätzenden Hinterlassenschaften im ganzen Giebelraum verteilt. Entlang der gesamten nördlichen Hauslänge befand sich eine ungefähr zwei Ellen hohe Öffnung, die dazu diente, die gefärbten Stoffe auf den außen angebrachten Rundbalken zum Trocken aufzuhängen. Jetzt war klar, wie die Viecher hereingekommen waren und wie sie jetzt so schnell hatten verschwinden können.
    Der Kastellan durchsuchte das Dachgeschoss, fand aber nichts Aufregendes. Überall lagen blau gefärbte Stoffe – offensichtlich ordentlich nach Größe und Webart sortiert. Vom ursprünglichen Indigoblau der bereits gefärbten Stoffe war allerdings nicht mehr viel zu sehen, da die Vögel für eine eher weißschwarz getupfte Farbgebung gesorgt hatten.
    »Der Blaufärber war aber fleißig«, meinte der Kastellan leise – nicht wissend, dass in den vergangenen Monaten genau das Gegenteil der Fall gewesen war und die Ware schon seit Didriks Verschwinden hier oben herumlag, ohne weiter verarbeitet, geschweige denn ausgeliefert oder auf dem Markt angeboten worden zu sein.

    »Was war das für ein ohrenbetäubender Lärm? Ist etwas geschehen?« Eginhard schob vorsichtig seinen Kopf durch die Luke.
    »Nein!«, kam es etwas unglaubhaft zurück.
    »Aber du blutest ja im Gesicht.«
    »Oh! – Das war nur eine Krähe. – Ist nicht so schlimm«, entgegnete der Vater, rieb sich mit einer Handbewegung das Blut weg und berichtete Eginhard von seiner Begegnung mit den schwarzen Vögeln.
    »Komm, bitte, mit nach unten in die Färberei, ich muss dir etwas zeigen«, bat Eginhard seinen Vater, nachdem er ihm aufmerksam zugehört und sich ebenfalls etwas umgesehen hatte.
    Während sich beide den Inhalt des Bottichs näher betrachteten, fragte Eginhard: »Denkst du auch, was ich denke?«
    »Was denn, mein Sohn?«, fragte der Vater linkisch zurück.
    »D… dass dies …«
    Nachdem es Eginhard nicht gleich schaffte, seine Antwort herauszubringen, erlöste ihn sein Vater: »Du hast einen Stock! Also prüf es!«
    So klopfte Eginhard zuerst mehrmals auf die Stoffblase, bevor er das merkwürdige Teil herauszog.
    Nachdem er noch ein Weilchen im Bottich herumgestochert und festgestellt hatte, dass sich kein fester Gegenstand darin befand, sagte er nur knapp: »Alles klar. Wir können gehen!«
    »Was hätte ich denn denken sollen?«, fragte der Vater seinen

Weitere Kostenlose Bücher