Die Pestspur
seiner Arbeit hatte er Zeit, um zu sinnieren. Eginhard nahm sich vor, so oft es der Zustand seiner Mutter erlaubte, bei den Opsers vorbeizuschauen, um ihre Wunden zu säubern, einzusalben und frisch zu verbinden … und um ihnen etwas Trost zu spenden. Dabei hoffte er inständig, dass seine Mutter die Nacht überstehen würde.
Kapitel 43
Für Eginhard war inzwischen klar, dass er nicht nach Bregenz zurückkehren würde, solange ihn seine inzwischen sterbenskranke Mutter brauchte. Der junge Mann war sich der großen Verantwortung bewusst, keinen fertig ausgebildeten Medicus zu Rate zu ziehen, sondern zu versuchen, die geliebte Mutter ausschließlich mit eigenem Wissen um die Heilkunde zu retten. Er war aber momentan ›nur‹ ein Studiosus – zwar ein Studiosus in der letzten Studierphase –, aber noch kein Arzt, der den Eid des Hippokrates hatte ablegen dürfen. Unabhängig davon hatte er noch nicht unter Beweis stellen können, dass aus ihm ein guter Arzt werden würde, dem die Heilkraft der Natur heilig war. Immer wieder rief sich Eginhard die Lehrsätze aus dem Kloster Mehrerau ins Gedächtnis, wovon einer lautete: »Die Natur heilt, nicht der Arzt«.
Mein Professor hat recht. Ein fertig ausgebildeter Arzt würde Mutter jetzt den Puls traktieren und sie zur Ader lassen, was sie nur noch mehr schwächen würde … oder er würde die Schröpfgläser ansetzen, was keinen Erfolg zeitigen, ihm aber viel Geld einbringen würde. Da kann ich mehr für Mutter tun, wog Eginhard ab.
Seine Entscheidung, sich selbst um die Kranke zu kümmern, beruhte auch darauf, dass er den Staufner Medicus niemals näher als zwanzig Fuß an seine Mutter heranlassen, geschweige denn an ihr Krankenlager bitten würde. Eginhard nahm sich vor, einen Brief an Abt Plazidus Vigell zu schreiben und ihm die Notwendigkeit seiner Abwesenheit zu erklären. Er vertraute darauf, dass der Klosterleiter ihm keine Schwierigkeiten machen würde, da er den versäumten Lernstoff dank seiner raschen Auffassungsgabe problemlos nachholen könne. Und sein Vater würde es schon irgendwie organisieren, dass die Depesche mit einem der gräflichen Kuriere schnellstens nach Bregenz gelangte. Natürlich ging die Behandlung seiner Mutter vor, doch ihn drängte auch danach, diesen Massenmörder, den Medicus Heinrich Schwartz, persönlich der Gerichtsbarkeit zuzuführen. Außerdem musste verhindert werden, dass er weiteres Unheil anrichtete.
Der medizinische Experte ahnte, dass der offensichtlich gefühllose und berechnende Arzt gedachte, seine profitable Mordserie im Frühjahr fortzusetzen. »… wenn der Rattenfloh aus seiner Gliederstarre erwacht«, entfuhr es ihm angewidert.
Momentan allerdings hatte der Studiosus andere Sorgen: Wenn er seine geliebte Mutter vor dem Tod retten wollte, musste ihm schleunigst etwas einfallen. Bei seinen Gedanken gingen ihm immer wieder die Lehrsätze seines hochreputierten Professors durch den Kopf: »Reinigt die Erde und ihr werdet eine bessere Ernte haben«, pflegte dieser bei seinen Vorlesungen oft mit erhobenem Zeigefinger zu sagen. Das hieß nichts anderes, als dass Eginhard die Behandlung seiner Mutter auf drei Fundamenten würde aufbauen müssen.
»Und wie willst du das machen?«, fragte ihn Lodewig, als sie sich zu einer Verschnaufpause in die Küche zurückgezogen hatten, um darüber zu reden.
Eginhard blies ein paar Mal in seinen Becher mit heißem Kräutertrank und erklärte Lodewig sein Vorhaben: »Da ich aus meinen Beobachtungen der Tierwelt weiß, dass Fasten den Heilungsprozess unterstützt und dies ursprünglich auch von den Menschen so verstanden worden ist, bis sie diesen Instinkt verloren haben, werde ich Mutter ausschließlich Kräutersude und in Milch aufgeweichtes Brot reichen.«
»Und davon soll sie wieder zu Kräften kommen?«, fragte Lodewig ungläubig.
Eginhard lächelte. »Ja, mein Bruder! Dies kann Mutter hinunterschlucken, ohne dass sie es kauen muss oder die Gefahr besteht, dass es ihr im Hals stecken bleibt. Nach ein paar Tagen werde ich ihr jeden zweiten Tag etwas getrocknetes Gemüse als sämige Suppe reichen.«
Bevor Lodewig etwas fragen konnte, äußerte Eginhard mit Bedauern: »Schade, dass es jetzt kein frisches Gemüse gibt, das ich für sie dünsten kann.«
Lodewig runzelte die Stirn. »Und Fleisch bekommt sie nicht zu essen?«
Wieder lächelte Eginhard milde. »Nein, zunächst nicht!«
»Auch keinen Kohl mit Speck?«
»Gott bewahre! – Das würde sie umbringen.«
Lodewig
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