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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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er, dass ihm Lea bei diesem Akt, an dem bußfertige Christen ihrem Gott näherkamen, interessiert zusah. Als ihn die Kleine auch noch am Talar zupfte und frech fragte, ob sie auch ›so etwas‹ haben könne, musste er schmunzeln. Insgeheim auf Zuwachs hoffend, ging er zum Tabernakel zurück, um ein ungeweihtes Stückchen Brot zu holen, das er zur Verwunderung aller, dem Mädchen zwar nicht auf die Zunge, dafür aber in ihre Hände legte, bevor er ihr sanft über den Kopf strich. Martius Nordheims verständnisloses Kopfschütteln sah er dabei nicht.

Kapitel 45

    Konstanze befand sich jetzt tatsächlich auf dem schwierigen und langsamen Weg der Genesung. Sie musste zwar immer noch ihr Lager hüten, fühlte sich aber von Tag zu Tag etwas besser. Bisweilen stand sie kurz auf und mühte sich für einen kurzen Moment ans Fenster. Sie blickte dann auf ihr geliebtes Staufen hinunter und ließ ihre Gedanken schweifen.
    Es ist Mittwoch, also wäre Markttag … wenn es das Marktverbot nicht gäbe, überlegte sie traurig.
    Konstanze sehnte es herbei, wieder unter die Menschen gehen zu können und mit den anderen Frauen des Dorfes oder mit Matheiß, dem Kronenwirt, kleine Schwätzchen zu halten. Die einzige Abwechslung waren momentan die liebgewonnenen Besuche ihrer Freundin Judith, die meistens ihre Töchter mitbrachte. Sarah sah sie bei diesen Besuchen aber immer nur so lange, bis Lodewig auftauchte. Und dies war stets sofort der Fall, wenn das kleine Türchen im Schlosstor für die drei Jüdinnen geöffnet worden war.

    *

    Der Kastellan hatte die Menschen in Konstanzes Umfeld gebeten, ihr nichts von den Geschehnissen während ihrer Erkrankung zu erzählen. Das wollte er zu gegebener Zeit selbst tun.
    »Früher oder später wird sie es ja doch erfahren, aber es muss nicht alles auf einmal sein«, hatte er zu seinen Söhnen und den Bombergs gesagt.
    Weil er seine Frau kannte und deswegen wusste, dass sie keine Ruhe geben und immer wieder danach fragen würde, erzählte er ihr doch etwas davon, was den Blaufärbern widerfahren war und dass sie sich jetzt auf dem Bechtelerhof befanden, um wieder ganz gesund zu werden. Und dass sich Eginhard sehr um sie gekümmert, ihre Erfrierungen mit einer selbstgemachten Salbe behandelt und heilenden Kräutersud gekocht hatte. Davon, dass sich der Medicus bei seiner Identifizierung des Toten aus dem Entenpfuhl womöglich geirrt haben und es doch Otward gewesen sein könnte, der im Wasser gelegen hatte, erzählte er ihr nichts und wich ihren diesbezüglichen Fragen geschickt aus. Wie lange ihm dies gelingen würde, wusste er allerdings nicht.
    »Ich bin müde«, waren die derzeit wohl am meisten gebrauchten Worte seiner Frau, und der Kastellan war froh darüber; nicht nur, weil ihr der Schlaf bei der Genesung half, sondern auch, weil sie ihn nicht weiter ausfragen konnte, wenn sie schlief.
    Je besser es seiner Frau ging, um so öfter war er mit seinen Gedanken woanders: »Wir müssen unbedingt wieder der Pestspur des inhaftierten Arztes folgen«, flüsterte er Eginhard zu, als Konstanze wieder einmal eingeschlafen war.

    *

    Obwohl sich Lodewig geschworen hatte, sich mit seinem kleinen Bruder nie mehr heimlich irgendwohin zu schleichen, standen sie jetzt im zweiten Geschoss des Südturmes, in dem der Medicus immer noch gefangengehalten wurde. Da sie von ihrem Vater wussten, dass sich hinter dieser Tür ein bösartiger Massenmörder befand, war ihnen so grausig zumute wie seinerzeit, als sie auf dem Kirchhof ein Gespräch zwischen zwei Männern belauscht hatten. Gleichzeitig war es ebenso spannend wie damals. Außerdem roch es modrig. Und es war kalt. Als auch noch eine Ratte an ihnen vorbeihuschte, gruselte es sie endgültig. Dennoch traten sie langsam näher an die Gefängnistür.
    »Der Mann da drin ist ein Ungeheuer, sagt Papa. Willst du es sehen?«
    Obwohl der Kleine eine Heidenangst hatte, nickte er interessiert.
    »Also gut«, flüsterte Lodewig und öffnete die Klappe, die sich in der Tür zur Gefängniszelle befand. Er lugte hinein, sah aber nichts. Erst als er seinen Kopf durch das Loch steckte und den runden Raum absuchte, sah er direkt unter sich den Medicus auf dem Boden kauern. Der Arzt hatte sich auf diese Seite des Turms verkrochen, weil es dort etwas wärmer war als an der gegenüberliegenden Außenmauer, in der sich auch noch das zugige Fenster befand.
    »Er schläft«, sagte Lodewig zu Diederich und hob den Kleinen hoch, damit auch er seinen Kopf durch das Loch stecken

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